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Langer Atem statt Alibimaßnahmen
Konsistente Ernährungspolitik gefordert
09.05.2007, Berlin
Die zunehmende Verbreitung von Übergewicht in den modernen Gesellschaften hat zu Recht einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Die Ursachen sind vielschichtig, und entsprechend bedarf es differenzierter Ansätze, um die Entwicklung zu stoppen und umzukehren. Gefragt sind intelligente und wirksame Maßnahmen der Präventionen, damit Kinder und Jugendliche erst gar nicht übergewichtig werden. Schuldzuweisungen nützen niemandem – am wenigsten den potentiell Betroffenen. Die Erklärung für Übergewicht ist relativ einfach, sie besteht in einer Imbalance von Energieaufnahme und -verbrauch. Während die Energieaufnahme in den vergangenen Jahrzehnten kaum angestiegen ist, sank der Energieverbrauch durch deutliche Änderungen des Lebensstils drastisch ab. Entscheidend ist daher, die Bewegung insgesamt wieder zu erhöhen, nicht nur durch verstärkte Propagierung von sportlichen Aktivitäten, sondern durch Schaffung einer bewegungsfreundlicheren Umwelt insgesamt.
Trotz dieser Erkenntnisse fokussiert sich die Diskussion auf europäischer Ebene und insbesondere in einigen Mitgliedsstaaten zunehmend auf die Ernährung und bestimmte Lebensmittel bzw. ihre Inhaltsstoffe. Statt an den wirklichen Ursachen anzusetzen, wird eine „Alibi-Politik“ verfolgt, die auf Werberestriktionen, Reformulierung von Produkten oder auch signalhaft warnende Kennzeichnung setzt, wie das britische „Ampelsystem“.
Eine Ampel würde keine wirkliche Hilfestellung für den Verbraucher sein, sie wäre allenfalls eine Scheinlösung, die außer Acht lässt, dass es nicht auf einzelne Lebensmittel, sondern auf den Lebensstil insgesamt ankommt, zu dem unter anderem eine ausgewogene Ernährung gehört. Durch ein rotes, gelbes oder grünes Signal würde dem Verbraucher suggeriert, sich – ohne weiteres Nachdenken – gesund ernähren zu können; so einfach ist es aber nicht und so einfach sollte es sich die Politik in Europa nicht machen. Dankenswerter Weise hat sich das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gegen solche Maßnahmen ausgesprochen.
Die Ernährungsindustrie befürwortet statt simpler, undifferenzierender Signale eine objektive, klare und leicht verständliche Information über den Energiegehalt und die wichtigsten Nährstoffe; nur sie vermittelt dem – interessierten – Verbraucher die Basis, um für sich eigenverantwortlich die Wahl treffen zu können. Zunehmend findet sich eine derartige Kennzeichnung auf den Produkten der Ernährungsindustrie; sie muss dem Verbraucher nahe gebracht werden, er muss animiert werden, sie zu lesen und zu nutzen.
Die Ernährungsindustrie wendet sich strikt gegen Vorgaben zur so genannten „Reformulierung“ von Produkten. Mit der Forderung nach einer Reduktion von Fett, Zucker oder auch Salz im gesamten Lebensmittelangebot macht es sich die Politik zu einfach. Das Lebensmittelangebot entspricht den Wünschen und Erwartungen der Verbraucher, die sich über Jahrzehnte oder noch länger herausgebildet haben. Es wäre völlig unrealistisch, dies mit einem Federstrich ändern zu wollen. Die Lebensmittelindustrie bietet ein qualitativ hochwertiges, sicheres und in seiner Vielfalt bisher nicht gekanntes Angebot an, welches jedem ermöglicht, sich ausgewogen und abwechslungsreich zu ernähren. Zu diesem Angebot gehören zunehmend auch Variationen, die gegenüber den traditionellen Produkten einen deutlich verminderten Kaloriengehalt aufweisen. Wir haben die richtigen Produkte und es liegt an jedem Einzelnen, damit seinen Wünschen und Bedürfnissen entsprechend umzugehen.
Die immer wieder erhobenen Forderungen nach Werbeverboten oder -einschränkungen sind aus Sicht der Ernährungsindustrie nichts anderes als ein hilfloser Reflex der Politik auf ein gesellschaftliches Problem. Es gibt genug staatliche oder auch freiwillige Werberegelungen, sie müssen, wenn es Missbräuche gibt, nur strikt durchgesetzt werden. Im Übrigen gibt es keinerlei wissenschaftlichen Beweis dafür, dass Werbung ursächlich für das zunehmende Übergewicht ist.
Die deutsche Ernährungsindustrie sieht die Diskussion auf europäischer und auch internationaler Ebene mit großer Sorge; sie setzt ihre Erwartungen in eine alternative Politik, so wie sie in vielen Äußerungen der Bundesregierung in den letzten Wochen und Monaten skizziert worden ist. Mit Spannung erwartet sie daher den „Nationalen Aktionsplan Ernährung und Bewegung“, den die Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie für Gesundheit am 10. Mai 2007 im Bundestag vorstellen wollen. Er verspricht einen ganzheitlichen Ansatz, der
- eine Stärkung von Ernährungsbewusstsein und Selbstverantwortung
- eine Förderung der Ernährungsinformation und –bildung in Kitas, an Schulen und am Arbeitsplatz
- mehr Bewegung und Sport
- Qualitätsstandards und Zertifizierung von Gemeinschaftsverpflegung in Schulen, Kindergärten und Betrieben
- eine Verbesserung der Ernährung von sozial benachteiligten Menschen und
- eine Stärkung der Ernährungsforschung umfasst.
Dies ist der richtige Weg, und diesen werden wir mit der Bundesregierung gehen. Dies schließt auch die weitere nachhaltige Unterstützung der „Plattform Ernährung und Bewegung – peb“ ein, die ihre Arbeit auf die Jüngsten, die Kindertagesstätten und Kindergärten konzentriert. Die Ernährungsindustrie steht hinter diesem ganzheitlichen Konzept und fördert es gemeinsam mit der Politik nach Kräften.
Die Ernährungsindustrie begrüßt auch den vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz kürzlich vorgelegten „Aktionsplan gegen Allergien“. Er spricht alle Ursachen der Entstehung von Allergien an. Lebensmittelallergien spielen dabei zwar eine geringe Rolle, sie dürfen jedoch keinesfalls vernachlässigt werden.
Der Schutz der Betroffenen kann nur durch Information erfolgen; bei verpackten Produkten sind die Hauptallergene wie glutenhaltiges Getreide, Krebstiere, Eier, Fisch und Soja oder auch Nüsse gekennzeichnet; bei unverpackt angebotenen Lebensmitteln muss die Information entweder über schriftliche Auslagen oder über das Personal erfolgen.
Die Ernährungsindustrie wird sich konstruktiv an dem von Bundesminister Seehofer initiierten Dialog zur Verbesserung der Information und damit der Situation für Allergiker beteiligen.