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Klimabewusstsein vs. klimabewusstes Handeln
06.12.2019
In Madrid findet ab dem 2. Dezember der 25. UN-Klimagipfel statt. Bis zum 13. Dezember wollen die Delegierten internationale Regeln für den Umgang mit Treibhausgasemissionen und Schäden durch Extremwetter aushandeln. Gleichzeitig stufen immer mehr Menschen in Deutschland Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtige Herausforderung ein, die es zu lösen gilt. Sowohl politisch als auch gesellschaftlich steht das Thema Klimaschutz daher im Fokus unserer Zeit. Nichtsdestoweniger lassen sich keine oder nur geringen Veränderungen im Verhalten vieler Bürgerinnen und Bürger beobachten. Die Folge sind Forderungen nach klimafreundlicheren Alternativen (beim Thema Ernährung etwa regionaler und saisonaler einzukaufen und häufiger nach vegetarischen oder veganen Optionen zu greifen), während die Verbraucher nicht immer klimaschonende Entscheidungen treffen. Prof. Dr. Marcel Hunecke, Allgemeine Psychologie, Organisations- und Umweltpsychologie (Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften) an der Fachhochschule Dortmund, erklärt uns im Interview, woher diese Diskrepanz zwischen Bewusstsein und Verhalten kommt.
BVE: Laut einer Umfrage des Umweltbundesamtes stufen zwei von drei Menschen in Deutschland Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtige Herausforderung ein. Trotzdem scheint sich ein klimabewusstes Verhalten bei vielen noch nicht einzustellen. Woher kommt das?
Prof. Dr. Marcel Hunecke: Der Knackpunkt ist hier, dass der Weg vom Problembewusstsein bis zur Änderung des Routinehandelns lang ist. In der Psychologie können wir unterschiedliche Handlungsphasen unterscheiden, die letztlich vom Problembewusstsein zu einem veränderten Routinehandeln führen. Diese enthalten fünf Herausforderungen, an denen jeweils gescheitert werden kann.
Die erste Barriere ist die
Informationsbarriere. Um die zu überwinden, müssen wir erst einmal erkennen, wie das Problem beschaffen ist und warum es für uns relevant ist. In Bezug auf den Klimawandel ist ein grundlegendes Problembewusstsein mittlerweile vorhanden. Allerdings spielt die Frage, auf welche Weise jeder Einzelne einen Beitrag zur Lösung des Problems liefern kann, in dieser Handlungsphase eine ebenso zentrale Rolle. Hier sind viele Menschen – wenn es sich nicht gerade um Menschen handelt, die sich professionell damit befassen und die nötigen fachlichen Kompetenzen besitzen – überfordert, die relevanten Informationen herauszufiltern. Auch die Fülle an Informationen, die nicht zwingend relevant oder seriös sind, erschwert diese Aufgabe.
Noch bedeutender ist die zweite Barriere: die
Motivation. Nachhaltigkeit ist in der persönlichen Zielhierarchie häufig nicht so hoch angesetzt, wie viele andere Probleme, die wir im Alltag zu bewältigen haben. Wie verdienen wir unseren Lebensunterhalt? Wie gestalten wir unser soziales Miteinander? Wie bleiben wir gesund? Studien vom Umweltbundesamt zeigen, dass das Thema Nachhaltigkeit durchaus in den letzten Jahren an Relevanz gewinnt. Wir sehen jedoch auch, dass es bei der individuellen Prioritätensetzung zu Zielkonflikten kommen kann, wodurch Nachhaltigkeit im Vergleich mit anderen persönlichen Zielen, z.B. hinsichtlich Komfort und Sicherheit, an Bedeutung verliert.
Die nächste Barriere ist die
Planung. Hierbei ist es besonders wichtig, dass die anvisierten Verhaltensänderungen möglichst konkret geplant werden. Wir wissen aus der Handlungstheorie, dass wir dazu Implementationsintentionen benötigen, in denen jeweils ein möglichst konkretes Zielverhalten formuliert wird. Also nicht etwa: „Ich möchte weniger Autofahren“, sondern stattdessen: Morgen möchte ich die öffentlichen Verkehrsmittel für den Arbeitsweg nutzen.
Der vierte Bereich umfasst die
Verhaltensausführung, und zwar im Hinblick darauf, wie das gewünschte Verhalten unterstützt wird. Dabei geht es vor allem darum, die entsprechenden Infrastrukturen für das umweltschonende Verhalten zu schaffen. Wenn nachhaltiges Verhalten immer einfacher auszuführen wäre als die nicht nachhaltigen Alternativen, dann hätten wir kein Problem. In diesem Fall würden sich die Bürgerinnen und Bürger sehr schnell aus eigennützigen Gründen nachhaltiger verhalten. Momentan ist das nachhaltige Verhalten aber oft aufwendiger oder teurer (egal ob im Bereich Verkehr, Wohnen oder Ernährung). Wir können noch so eine große Motivation haben oder noch so tolle Pläne, wenn die Ausführung nicht möglich oder zu aufwendig ist, wird sich das Verhalten auch nicht ändern.
Die fünfte Herausforderung ist schließlich die
Etablierung der neuen Verhaltensroutinen. So reicht es eben nicht, das Verhalten nur sporadisch anzupassen, sondern es muss sich über einen längeren Zeitraum zur Routine entwickeln. Dabei gibt es immer auch die Möglichkeit von Rückschlägen, die zu Verzögerungen des angestrebten neuen Verhaltens führen. Eine Schlüsselrolle kommt hier wieder Infrastrukturen zu, die neue Routinen begünstigen können. Momentan sind diese nachhaltigen Infrastrukturen bei weitem noch nicht ausreichend vorhanden und um sie einzuführen, wird es Übergänge brauchen, die noch mehr als zwanzig bis dreißig Jahre dauern werden. Es ist also ein sehr langer Weg, bis das Verhalten im Allgemeinen dem vorhandenen Klimabewusstsein entspricht.
BVE: Inwiefern geht es hier auch um eine Generationenfrage?
Prof. Dr. Marcel Hunecke: Bei den Generationen lassen sich tatsächlich deutliche Unterschiede festmachen. Im Fokus steht momentan natürlich die FridaysForFuture-Generation, die wahrscheinlich als erste Generation konkret von den Folgen des Klimawandels betroffen sein wird, vor allem hinsichtlich zunehmender sozialer Verteilungskonflikte. Das will natürlich keiner und dies führt zu einer starken Motivation für Veränderungen. Das ist erst einmal positiv zu bewerten. Diese Bewegung ist allerdings noch sehr jung und muss erst beweisen, ob sie den dafür notwendigen langen Atem hat. Ansonsten gibt es auch einige Anzeichen für ein nachlassendes Interesse an nachhaltigen Lebensstilen in der jüngeren Generationen, obwohl dort durchaus ein Problembewusstsein vorhanden ist. Hier waren es eher die älteren Generationen, die auch ihren Lebensstil an Aspekte der Nachhaltigkeit anpassten. Bei der Kriegs- und Nachkriegsgeneration war es schon allein durch die Lebenspraxis verankert, dass man sparsam mit Ressourcen umgeht. Die 68er Generationen hat die Thematik von Nachhaltigkeit in den gesellschaftlichen Diskurs eingebracht und den Weg durch die Institutionen auf sich genommen; ein Weg, den die FridaysForFuture-Generation noch vor sich hat. Die jetzige Generation wurde in einer Konsumerlebnisgesellschaft sozialisiert, in der sehr viel materieller Wohlstand jederzeit und überall verfügbar ist. So ist es mittlerweile selbstverständlich, in der ganzen Welt bei erschwinglichen Preisen unterwegs sein zu können. Aus dieser kulturellen Tiefenströmung muss sich nun eine Generation erheben, die nicht nur die Politik für die Lösung der Klimaprobleme in die Verantwortung nehmen will, sondern auch selber zu einem kulturellen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit bereit ist.
BVE: Die Ernährungs- und Einkaufsgewohnheiten der Menschen stehen oft im Fokus beim Thema Klimaschutz. Viele sind verunsichert, welche Maßnahmen die geeignetsten sind, um den eigenen CO2 Abdruck zu verringern. Wie stark bremst so eine Unsicherheit klimabewusstes Verhalten? Welche Maßnahmen könnten helfen, diese Unsicherheiten zu verringern?
Prof. Dr. Marcel Hunecke: Wichtig ist, dass wir Informationen aus zuverlässigen und glaubwürdigen Quellen brauchen. An dieser Stelle sind glaubwürdige Kennzeichnungen, z.B. über Gütesiegel wichtig, denen der Verbraucher vertrauen kann. Denn (das muss nochmal betont werden): Es gibt verlässliche Informationen und auch einen wissenschaftlichen Konsens. Die Verbraucher können nur nicht alles überprüfen und brauchen daher Quellen, die das für sie übernehmen und das Wissen, das existiert, entsprechend kommunizieren. Diese Quellen müssen demokratisch legitimiert und wissenschaftlich fundiert sein.
Abgesehen davon gibt es für den Bereich der Nachhaltigkeit fast keine professionelle Unterstützung, die bei der Planung von klimabewusstem Verhalten helfen könnte, zum Beispiel bei der Ausarbeitung von effektiven Maßnahmen, die auf den individuellen Lebensalltag zugeschnitten sind. In vielen anderen Bereichen des alltäglichen Lebens gibt es hingegen kommerzielle Angebote – Stichwort Steuererklärung oder Ernährungsberatung. Wie dort ist es enorm wichtig, dass man nicht auf sich allein gestellt ist, sondern soziale Netzwerke hat, die einen in den Zielen bekräftigen und in denen gemeinsam nach Lösungen gesucht werden kann, wie man sein eigenes Verhalten langfristig – trotz möglicher Rückschläge – verändern kann.
BVE: Was kann konkret getan werden, damit das Verhalten mehr den klimabewussten Vorsätzen entspricht?
Prof. Dr. Marcel Hunecke: Auch hier gilt wieder: Gemeinschaft schaffen. Ein rebellierender Teenager mag Veränderungen auch im Alleingang bei sich und vielleicht noch in seiner Familie durchsetzen können. Diese motivationale Kraft fehlt vielen Menschen in ihrer Alltagspraxis, für die ein Alleingang hoffnungslos wäre. Jeder sollte in seinem konkreten Umfeld schauen, wo er solche Gemeinschaften finden kann. Das kann die Familie oder der Freundeskreis sein. Wichtig ist dabei vor allem, das man den beteiligten Menschen vertrauen kann. Gemeinsam erstellt man dann Pläne für nachhaltige Ziele, experimentiert mit den neuen Verhaltensweisen und versucht dabei Zielkonflikte aufzulösen. Gleichzeitig ist klar, dass parallel dazu politische Maßnahmen ergriffen werden müssen. Wir können nicht alles auf Haushaltsebene regeln, sondern benötigen politische Prozesse, durch welche die notwendigen infrastrukturellen Veränderungen initiiert werden. Gleichzeitig können wir nicht darauf vertrauen, dass alle Klimaprobleme direkt auf einer politischen Ebene lösbar sind bzw. auch der Alltag des Einzelnen ist politisch. Erst über das individuelle Verhalten in kleineren Gruppen von Menschen, z.B. auf Stadtteilebene oder in Klimaschutzinitiativen, lässt sich ein kultureller Wandel in Richtung Nachhaltigkeit initiieren, der auch politisch zunehmend an Relevanz gewinnen wird.