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"Der urteilsfähige Verbraucher" - Christoph Minhoff
28.05.2019
Der Deutsche wird mit 18 volljährig, bleibt aber bis zum Lebensende unmündig – so suggerieren es uns zumindest manche Verbraucherschützer. Die Mündigkeit der Konsumenten sei eine „Illusion“, ein „Mythos“, ein „Trugbild“. Wenn dem so wäre, müsste wohl das Bürgerliche Gesetzbuch neu geschrieben werden. Wer nicht mündig ist, wer nicht geschäftsfähig ist, der benötigt einen Vormund. Brauchen wir nun eine staatliche Vormundschaft, für alle Bürger? Einen Super-Nanny-Staat? Und das alles, wenn wir einen Joghurt, eine Tiefkühlpizza oder ein Erfrischungsgetränk kaufen wollen?
Das ist keine Polemik, sondern eine Problembeschreibung. Wann wird der Schutz des Verbrauchers zur Vormundschaft? Es zeigt sich schon hier, der Begriff „mündig“ taugt in der Debatte um den Verbraucherschutz eigentlich nicht.
Auch andere Vokabeln des real existierenden Verbraucherschutzes sind fragwürdig. Der „Verbraucher“? Der „Konsument“? Wer ist denn gemeint, wir? Das Marktforschungsinstitut Sinus beschreibt allein zehn unterschiedliche Milieus und damit mindestens zehn unterschiedliche Verbrauchertypen. Vom adaptiv-pragmatischen über den sozialökologischen bis hin zum hedonistischen Milieu. Von flexibel-sicherheitsorientierten über die konsumkritischen und -bewussten bis hin zu spaß- und erlebnisorientierten Bürgern der Ober-, Mittel- und Unterschichten. Die Vielfalt der Lebensstile und Möglichkeiten ist das Kennzeichen unserer ausdifferenzierten, fragmentierten Gesellschaft. Und dazu passt die Vielfalt der 170.000 Produkte der Lebensmittelwirtschaft, die allen Verbrauchern, gleich welchen Typs, zur Verfügung stehen.
Viele lieb gewonnene Floskeln sind zu hinterfragen, etwa die des "Verbrauchers auf Augenhöhe". Nicht der Anbieter, sondern der Verbraucher bestimmt doch das Marktgeschehen; er bestimmt am Ende das Angebot, denn er hat in der Marktwirtschaft die zentrale ordnungspolitische Aufgabe der Marktsteuerung. Wer nicht auswählen kann, hat auch keine Entscheidungsfreiheit. Deshalb sind alle Bestrebungen, durch Lenkung oder Bevormundung den Konsumenten in dieser zentralen Rolle zu behindern, Gift für die Marktwirtschaft und im demokratischen Diskurs. Würde nicht der Verbraucher steuern, müssten es jedoch andere mit planerischen Elementen den Markt regulieren. Das würde dramatische Auswirkungen auf Angebot und Verfügbarkeit, auf Qualität und Sicherheit der Lebensmittelprodukte haben. Deshalb sollte sich niemand ernsthaft einen überregulierten, Strafsteuer-gelenkten Lebensmittelmarkt wünschen. Er landet sonst im HO-Laden längst überkommener Zeiten!
Wie bei jeder Wahl vollzieht der Verbraucher – so hoffen wir doch alle – eine Entscheidung, die er vorher aufgrund längerfristiger Überlegungen und Überzeugungen getroffen hat. Der Verbraucher prüft, bewertet und entscheidet vor und vor allem auch nach dem ersten Kauf. Wenn das Produkt nicht seinen Erwartungen entspricht, kauft er es nicht erneut. Weil er die Entscheidungsfreiheit hat und diese auch nutzt – als eben selbst bestimmter Verbraucher.
Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass der Verbraucher vielen Einflüssen ausgesetzt ist. Kulturellen, Traditionen, Geschmacksvorlieben, aber eben auch Werbung und jeglicher Form des Marketings. Werbung setzt oft auf positive Emotionen, um bestimmte Kaufentscheidungen zu bewirken. Manchmal erfolgreich, manchmal nicht. Aber: auch Angst ist eine Emotion und diese wird von weiteren Marktteilnehmern hervorgerufen: der Angstindustrie, die aus Teilen von Wissenschaft und Politik, Medien und NGOs besteht, deren Geschäftsmodell es ist, zu skandalisieren, zu verunsichern und Ängste zu schüren. Angst steht aber rationalen Entscheidungen entgegen. Also müsste der Konsument – in der Logik des unmündigen Verbrauchers – nicht nur vor irreführender Werbung, sondern auch vor irreführender Desinformation der Angstindustrie geschützt werden. Aber mit beidem sollte der Verbraucher umgehen können, mit fantasievoller Werbung und mit überzogener kritischer Information.
Womit wir bei weiteren Mysterien der Diskussion um den „mündigen Verbraucher“ sind: Ausgerechnet diejenigen, die eine umfassende Aufklärung und Information des Konsumenten fordern, setzen gleichzeitig auf eine Simplifizierung von Informationen, z. B. die "Ampel". Die Ampel informiert nicht, sie führt zu Fehldeutungen und Fehlsteuerungen. Die Wertigkeit eines Lebensmittels für die Ernährung lässt sich nicht auf drei Farben reduzieren. Und die Heilsbotschaft, durch eine Ampelkennzeichnung ließe sich Übergewicht erfolgreich bekämpfen, wird sich als falsche Prophezeiung erweisen, etwa in Großbritannien. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht! Wer reguliert und bevormundet, übernimmt dann aber auch die Verantwortung für das Ergebnis.
Leider liegt der Verdacht nahe, dass das Leitbild des „unmündigen, uninformierten, schutzbedürftigen Verbrauchers“ anderen Zielen als dem behaupteten Gesundheitsschutz dient.