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Neue Margenwelt in der Ernährungsindustrie
10.12.2019
Unternehmerinnen und Unternehmer der Ernährungsbranche sind einem großen Preiswettbewerb ausgesetzt. In einer Studie von S&B Strategy wurde die sich verändernde Margenwelt untersucht. Patrick Seidler, Managing Partner bei S&B Strategy GmbH - Geschäftsbereich Food, erzählt uns im Interview von neuen Gewinnpotenzialen hinsichtlich der Bedingung von Ernährungstrends.
BVE: Im Oktober haben Sie eine Studie zur neuen Margenwelt in der Nahrungsmittelindustrie veröffentlicht. Was haben Sie genau untersucht?
Patrick Seidler: Wir von S&B Strategy haben in den vergangenen Jahren bei Herstellern der Nahrungsmittelindustrie eine Spreizung der Margen- und Umsatzentwicklung wahrgenommen, das wollten wir genauer analysieren. Ausgangsfrage war, ob es spezialisierten Nahrungsmittelherstellern durch das Belegen von Themen wie Bio, Vegan oder Gentechnikfrei gelingt, dem Preiswettbewerb im Handel zu entkommen und sich im direkten Vergleich mit klassischen Herstellern besser zu entwickeln. Dazu haben wir über 6.000 Unternehmen aus der Nahrungsmittelindustrie in insgesamt sechs Sub-Segmenten aus zum Beispiel der Fleisch-, Obst- oder Milchverarbeitung untergliedert und hinsichtlich ihrer Profitabilität, Umsatz- und Ertragsentwicklung untersucht. Dabei wurde unterschieden zwischen „healthy“ Herstellern, also Herstellern, die ihr Portfolio mit mindestens drei Claims wie clear label, clean label, bio, vegan, GVO-frei etc. aufladen, und solchen ohne spezifischen Fokus.
BVE: Welches Potenzial bietet sich Anbietern, die sich speziell Trends wie bio, healthy oder vegan widmen im Vergleich zu Anbietern, die sich nicht um Trends kümmern?
Patrick Seidler: Unsere Untersuchung zeigt deutlich, dass es „healthy“ Herstellern über alle Segmente hinweg gelingt, deutlich stärker im Umsatz und Ertrag zu wachsen als ihre klassischen Wettbewerber. Während es diesen im Zeitraum 2011-17 lediglich gelang, um durchschnittlich ca. 3 Prozent jährlich zu wachsen, verzeichneten Anbieter mit einer „healthy“ Positionierung deutlich höhere Wachstumsraten von knapp 10 Prozent jährlich. Diese Entwicklung hat sich im Zeitraum 2014-17 weiter intensiviert. Hier spiegelt sich die höhere Aufmerksamkeit auf gesunde und nachhaltige Produkte seitens der Konsumenten sowie eine steigende Zahlungsbereitschaft in einem hohen Umsatzwachstum von durchschnittlich ca. 7 Prozent pro Jahr von „healthy“ Anbietern vs. ca. 1 Prozent von klassischen Unternehmen wieder.
Insgesamt zeigt unsere Analyse eine Entwicklung der zwei Geschwindigkeiten – während die einen Hersteller vereinzelt versuchen, bestehende Produkte mit „healthy“ Claims anzubieten, über Effizienzprogramme und Einkaufsoptimierung dem Preisdruck im Handel entgegentreten und so ihre Margen stabilisieren, gelingt es echten „healthy“ Herstellern aufgrund der glaubhaften und nachhaltigen Positionierung, sich dem Preisdruck zu entziehen und damit höhere Margen zu erzielen. Seit 2012 hat sich diese Entwicklung kontinuierlich intensiviert und so lag die durchschnittliche Margendifferenz im EBITDA (Earnings before interest, tax, depreciation and amortization) bereits bei über 3 Prozentpunkten im Jahr 2017.
BVE: Gelten diese Vorteile für alle Produktgruppen gleichermaßen? Wo gibt es Unterschiede?
Patrick Seidler: Zentrales Unterscheidungsmerkmal ist die Position in der Wertschöpfungskette sowie der Fokus der Konsumenten. Heute erzielen „healthy“ Hersteller in den Segmenten Milchverarbeitung, Obst- und Gemüseverarbeitung sowie Fleischverarbeitung nachhaltig deutlich höhere Margen als die klassischen Wettbewerber. Diese Segmente stehen im verstärkten Fokus der Konsumenten aufgrund der wahrgenommenen Nähe zum Rohstoff – mit dem Ergebnis, dass monetäre Überlegungen bei der Kaufentscheidung eine rückläufige Relevanz haben.
Eine deutlich steigende Transparenz hinsichtlich der Herkunft und Qualität von Zutaten sowie steigendes Interesse von Konsumenten, Informationen zu der Qualität der Rohstoffe zum Beispiel auch in fertigen und teilfertigen Produkten zu erhalten, wird insbesondere auf Produkthersteller aus bisher eher weniger relevanten Segmenten wie beispielsweise Mahl- und Schälmühlen, Herstellung von Stärke und Stärkeerzeugnissen und pflanzlichen und tierischen Ölen und Fetten Auswirkungen haben. Die Anforderungen werden perspektivisch deutlich über die von reiner Qualitätssicherung (wie zum Beispiel dem QS-Prüfzeichen) hinausgehen und so professionell aufgestellten Spezialisten weiteres Wachstumspotential ermöglichen. Klassischen Anbietern wird es dadurch perspektivisch schwerer fallen, glaubwürdig nachhaltige Trends zu besetzen. Insbesondere im Food Service und Industrie-Bereich wird diese Entwicklung besonders spannend werden.
BVE: Wie stabil sind die Gewinnchancen bei solchen Trends? Inwieweit gibt es übergeordnete Trends (wie zum Beispiel Convenience), die langfristigen Erfolg versprechen?
Patrick Seidler: Die deutschen Konsumenten haben historisch im internationalen Vergleich eher wenig Geld für Nahrungsmittel ausgegeben – dies dreht sich derzeit. Viele Verbraucher beschäftigen sich zunehmend damit, wo Nahrungsmittel herkommen und wie diese erzeugt wurden. Medienwirksame Berichte zu Fleischskandalen, dem umfangreichen Einsatz von Medikamenten und Düngemitteln sowie Bilder von Industriekühen befeuern diese Entwicklung. Daher gehen wir nicht davon aus, dass Themen wie Bio, Demeter, Vegan oder Gentechnikfrei wieder von der Agenda der Konsumenten verschwinden. Gerade die zunehmende Transparenz und Nachverfolgbarkeit des Produktionsprozesses und des Einsatzes von Rohwaren wird die Aufmerksamkeit der Konsumenten noch stärker auf diese Themen lenken.
Convenience ist sicherlich ein nachhaltiger Trend, der sich sowohl im Essverhalten und komplexeren Produkten der Hersteller, als auch in der Regalgestaltung im Handel wiederspiegelt. Jedoch gilt auch hier, dass Hersteller, die transparent die Rohwaren, Inhaltsstoffe und deren Herkunft darstellen, für Vertrauen beim Konsumenten sorgen und mittelfristig so höhere Margen erzielen können.
BVE: Sie ziehen den Schluss, dass die Nahrungsmittelindustrie für Finanzinvestoren wieder auf die Investitionslandkarte gehört. Warum?
Patrick Seidler: Historisch betrachtet waren Investitionen von Finanzinvestoren in Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie im Vergleich zu anderen Industrien eher selten – zu unsicher schienen Umsatz- und Profitabilitätsentwicklung getrieben durch die starke Verhandlungsposition des Lebensmitteleinzelhandels sowie ruinöse Preiswettbewerbe, insbesondere im Volumensegment.
Beispiele wie der Erwerb von Hafervoll durch die Krüger-Gruppe im April 2019 sowie der erfolgreiche Börsengang von Beyond Meat im Mai 2019 veranschaulichen die Attraktivität von „healthy“ Anbietern im Food Segment, die sich glaubhaft positioniert haben und sich dadurch nicht dem Preiswettbewerb aussetzen. Trends wie die Lebensmittelampel werden den Wunsch der Konsumenten nach Transparenz und Nachverfolgbarkeit von Rohstoffen und Zutaten weiter steigern. Dies wird sich auch auf Sub-Segmente ausweiten, die heute noch nicht besonders im Fokus von gesundheitsbewussten Konsumenten befinden, zum Beispiel Fette und Öle oder Mahl- und Schälmühlen, Herstellung von Stärke und Stärkeerzeugnissen.
Beteiligungen an spezialisierten Lebensmittelunternehmen sind zudem attraktiv, weil sich über Add-on Akquisitionen Volumen- und Margeneffekte ergeben können. Gerade in der jüngeren Vergangenheit gibt es viele Beispiele, welche die Schwierigkeiten bei der Integration nach einer Akquisition durch einen anderen Hersteller offenlegen. Oftmals wird das akquirierte Unternehmen nicht weiter aufgebaut, im Gegenteil: in der Marktbearbeitung spielt das neue Add-On eine untergeordnete Rolle, die Key Account Manager haben keine Incentivierung, den neuen Partner mit ins Regal zu bringen. Private Equity Investoren sind hier anders positioniert: Das Management wird nach der Akquisition in vielen Fällen gezielt unterstützt und die Marktdurchdringung sowie die Professionalisierung der Prozesse erhöht. Somit bestehen große Potentiale für eine Win-Win-Situation, sowohl auf Hersteller als auch auf Private Equity Seite.
BVE: Vielen Dank für das Interview, Herr Seidler!