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Regionalität – der Schlüssel zu Versorgungsicherheit?
18.09.2020
Kurzzeitige Störungen in internationalen Wertschöpfungsketten und Lieferengpässe während der COVID-19 Pandemie haben die Diskussionen angefacht, ob und wie internationale Abhängigkeiten reduziert werden sollten, um die Produktion und Bereitstellung von ausreichend Lebensmitteln auch in Krisenzeiten sicherzustellen. Ist Reshoring der richtige Ansatz um Versorgungssicherheit sicherzustellen? Ist das der Schlüssel zur Resilienz von Lieferketten? Gewährleistet Regionalität darüber hinaus, dass Agrarrohstoffe in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung stehen?
Die Covid-19-Pandemie hat auch die ernährungspolitische Agenda verändert. Das Thema Versorgungssicherheit ist zurück im Fokus der Aufmerksamkeit. Die Erfahrung von kurzfristigen Lücken in den Regalen der Supermärkte haben Fragen zur Versorgungssicherheit zurück in das gesellschaftliche Bewusstsein geholt. Auch die Frage, wo die Agrarrohstoffe für die Produktion unserer Lebensmittel herkommen, gewinnt während Corona weiter an Bedeutung. Der Ruf nach einer regionalen Versorgung wird lauter. Das ist nur allzu verständlich, denn Regionalität verspricht Kontrolle und sorgt so für das dringend benötigtet Sicherheitsgefühl in der Krise.
Ist Regionalität aber tatsächlich der Schlüssel für Versorgungssicherheit? Rund drei Viertel der in der Ernährungsindustrie verarbeiteten Rohstoffe stammen aus Deutschland. Diese erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Lebensmittelherstellern ist eine wichtige Säule für Versorgungssicherheit in Deutschland. Die zweite wichtige Säule ist der Import von Rohstoffen: Der europäische Binnenmarkt ist nach der heimischen Landwirtschaft die wichtigste Bezugsquelle von Rohstoffen für die Lebensmittelproduktion in Deutschland. Rohstoffe, die in Deutschland und Europa nicht wachsen bzw. in anderen Regionen der Welt effizienter angebaut werden, werden aus Drittländern importiert. Darüber hinaus gleicht der weltweite Austausch von Agrarrohstoffen räumliche, saisonale, qualitative und quantitative Schwankungen in der Verfügbarkeit aus und trägt damit zur Versorgungssicherheit entscheidend bei. Auf Regionalität allein zu setzen, wäre daher keine tragfähige Lösung.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Dort heißt es, Reshoring führe zwar kurzfristig zu mehr Kontrolle – jedoch auf Kosten der Produktionsleistung. Bis zu 10 Prozent weniger Output könne eine alleinige regionale Versorgung mit Agrarrohstoffen hervorrufen. Darüber hinaus würden Lieferketten durch mögliche Schwankungen in der regionalen Rohwarenverfügbarkeit nicht an Resilienz gewinnen.
Die Unternehmen der deutschen Ernährungsindustrie haben in den letzten Wochen und Monaten in einer großen Kraftanstrengung für eine sichere Versorgung der Menschen und für Nachschub in den Supermarktregalen gesorgt. In der Krise wurde deutlich, dass die Versorgung mit Lebensmitteln besonders aufgrund der großen Vielfalt an Produzenten und deren breitem Netzwerk an Rohwarenlieferanten gesichert werden konnte. Diversifizierung von Lieferketten, ein funktionierender europäischer Binnenmarkt und offene internationale Märkte sind daher für die Resilienz von Lieferketten unverzichtbar.
Die Zutaten des Erfolgsrezepts für eine sichere Versorgung mit Lebensmitteln in Krisenzeiten ist daher die Stärkung des europäischen Binnenmarktes, die Aufrechterhaltung von Handelsbeziehungen, damit Unternehmen ihre Lieferketten diversifizieren können, bei gleichzeitiger Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe. Denn: Eine „one size fits it all“- Lösung für jedes Unternehmen bzw. für jedes der ungefähr 170.000 Produkte, die sich auf dem deutschen Lebensmittelmarkt befinden, ist nicht zielführend und wird der Komplexität der Herausforderung nicht gerecht. Die Unternehmen kennen ihre Lieferketten am besten. Ein verlässlicher politischer Rahmen bietet die Grundlage, damit sie ihr Wissen einsetzen können, um ihre Lieferketten zu stärken und Versorgung zu sichern.