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Weniger Lebensmittelverluste in der Produktion – aber wie?
30.05.2022
Um Lebensmittelverluste zu vermeiden braucht es effiziente Prozesse. Woran es häufig hapert, berichtet Axel Davila Lage im Interview. Er ist Branchenmanager Food & Beverage bei der Unternehmensberatung Staufen AG und hat in seinem Berufsleben beide Seiten der Lebensmittelindustrie kennengelernt: das „Selbermachen“ in der Industrie und die Beratung von Unternehmen. Doch nicht nur als Berater, sondern auch als leidenschaftlicher Hobby-Koch schlägt sein Herz für das Thema Lebensmittel.
BVE:
Herr Davila Lage, Sie betonen, in der Lebensmittelproduktion könnten noch mehr Lebensmittelverluste als bislang vermieden werden. Wie?
Axel Davila Lage:
Aus meiner Erfahrung gibt es mehrere Bereiche, die genauer betrachtet werden müssen: So werden in der Lebensmittelproduktion „Materialverluste“ vielfach als Teil des Prozesses angesehen, z. B. Rohrleitungen ausschieben bei Produktwechsel, An- und Abfahrprozesse oder das Einstellen der Maschine. Die Ursachen hierfür sind in der Tat häufig technologisch bedingt – doch auch hier kann man über Alternativen nachdenken, zum Beispiel Gas statt Wasser beim Ausschieben nutzen, um die Mischphase zu vermeiden. Der Verlust beim An- und Abfahrprozess hat häufig eine ganz andere Ursache: Jede Schicht arbeitet für sich nach bestem Wissen und Gewissen – allerdings nicht nach der besten gemeinsamen Methode. Es gibt auch schlichtweg schlecht durchgeführte Prozesse, zum Beispiel wenn TK-Ware im Warmbereich über den Checkweigher gefahren und gegebenenfalls ausgeschleust wird. Wenn hier kein Mitarbeiter ständig die Sammelbox leert, taut das Produkt an und muss dann aufwendig, nach Inhalt und Verpackung getrennt, entsorgt werden.
BVE:
Wo lassen sich mehr Verluste vermeiden: bei der Optimierung von Maschinen oder Prozessen?
Axel Davila Lage:
Maschinenstörungen verursachen in aller Regel auch Materialverluste – hier schafft eine konsequente vorbeugende Instandhaltung oder die Total Productive Maintenance (TPM) Abhilfe. Der größere Hebel ist aus meiner Sicht aber aufseiten der Organisation bzw. der Führung zu finden: Werden Abläufe von den Beschäftigten nach dem definierten Standard durchgeführt und wird dies vom Vorgesetzten täglich überprüft? Werden beim Schichtwechsel Anlagenparameter verändert? Wir sprechen von der sogenannten Prozessbestätigung: Es ist eine zentrale Führungsaufgabe, sich täglich davon zu überzeugen, dass die Prozesse exakt wie definiert durchgeführt werden. Hierbei geht es nicht um disziplinarische Kontrolle und Sanktionierung – das Mindset muss „Hilfestellung“ sein. Das Ziel ist es, Fehler in der Ablaufbeschreibung und Qualifikationsdefizite zu erkennen und abzustellen.
BVE:
Sind Unternehmen nicht allein schon aus finanziellen Erwägungen daran interessiert, Verlust zu reduzieren oder ganz zu vermeiden?
Axel Davila Lage:
Jein. Natürlich ist jedes Unternehmen daran interessiert, gute Gewinne zu machen, und will deshalb Verluste vermeiden. Leider werden Verluste trotzdem noch immer in großem Umfang akzeptiert, auch weil der vorherrschenden Skepsis gegenüber Veränderung nicht so einfach beizukommen ist. Zu selten bekommt jemand Puls, wenn täglich 8 % des Spinats, 12 % des Kaffees oder 7 % der Eiscreme entsorgt werden. Man darf aber nicht ausblenden: Diese Materialverluste sind zum einen direkt GuV-wirksam, zum anderen sind hierfür schon gewisse Beschaffungs- und Herstellkosten verursacht worden.
BVE:
Die Rohstoff- und Energiepreise explodieren zurzeit, außerdem werden manche Rohstoffe knapp. Ist das ein zusätzlicher Anreiz für Hersteller, sparsam mit ihren Ressourcen umzugehen?
Axel Davila Lage:
In jedem Fall bewirken die erhöhten Energie- und Rohstoffkosten ein Umdenken bei Unternehmen, die eine langfristige und nachhaltige Strategie verfolgen. Auch die neue Farm-to-Fork-Strategie der EU wird diese Entwicklung weiter beschleunigen. Die Lebensmittelindustrie muss sich dieser Herausforderung stellen. Materialverluste darf und muss es in der Lebensmittelindustrie nicht geben. Es ist nur eine Frage des Mindsets oder eben der Veränderungsbereitschaft. Aber: Wenn man auf absolute Störungsfreiheit und eine Null-Fehler-Strategie setzt oder die Durchlaufzeiten verkürzen will, indem man alle Bestandteile eliminiert, die keinen Mehrwert bieten, muss man bestehende Prozesse verändern wollen.
BVE:
Wir hören und lesen zurzeit viel über Nebenströme, Rework und – Stichwort Ukraine - thermische Verwertung von Reststoffen. Lohnt sich das?
Axel Davila Lage:
Sie haben Rework in einen Satz mit Abfallverwertung genannt – leider stimmt das zu häufig. „Nebenströme“ und „thermische Verwertung“ sind aus meiner Sicht Euphemismen. Natürlich ist eine nutzenbringende Verwertung absolut sinnvoll. Doch leider höre ich häufig: „Nicht so schlimm – das verkaufen wir doch“ – die Wertschätzung für das Lebensmittel und das ernsthafte Auseinandersetzen mit den eigenen Potenzialen fehlt mir da. Es bedarf auch eines grundsätzlichen Umdenkens beim Thema Rework. Dies wird in aller Regel als „nicht so schlimm, weil einarbeitbar“ angesehen. Diese Denkweise ist falsch. Zum einen sind hier schon die Herstellkosten eingeflossen, zum anderen geht der größte Teil des Rework in aller Regel den Weg zum Entsorger, weil es MHD-bedingt nicht bis zur nächsten Produktion warten kann oder die Allergenmatrix ein Einarbeiten verhindert.
Mehr zur Prozess- und Führungsoptimierung der Staufen AG in der Lebensmittelindustrie:
https://www.staufen.ag/branchen/lebensmittel-und-getraenke/