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„Hype um alternative Proteine“
09.01.2020
Fleisch aus dem Labor, vegetarische Schnitzel und vegane Wurst – sehen wir die Anfänge einer Lebensmittelrevolution? Auf der Konferenz Farm & Food 4.0 in Berlin am 20. Januar 2020 wird die „Neue Welt der Proteine“ diskutiert. Im Vorfeld hat sich Sarah Liebigt, Editorial Office bei Farm & Food 4.0, mit der Thematik beschäftigt und uns einige Fragen beantwortet.
BVE: Alternativen zu tierischen Produkten an sich und Alternativen zur landwirtschaftlichen Produktion tierischer Produkte sind in aller Munde. Sie haben sich im Vorfeld zur Farm & Food 4.0 drei verschiedene Studien zur Zukunft der Lebensmittelproduktion angesehen. Was waren diese Studien?
Sarah Liebigt: Die Farm & Food deckt die gesamte Themenvielfalt der Landwirtschaft ab. Einer der Schwerpunkte 2020 wird die Bewertung des Hypes um alternative Proteine sein: Was steckt wirklich hinter der rasanten Entwicklung in diesem Bereich? Für einen Überblick über Forschung und Aussichten habe ich mir das im September erschienene Paper „Rethinking Food and Agriculture 2020-2030“ des ThinkTanks rethinkX angesehen, sowie die Kearney-Studie: „Neue Fleischalternativen wirbeln die Agrar- und Lebensmittelindustrie durcheinander. A.T. Kearney Studie zur Zukunft des Fleischmarkts bis 2040“. Für eine weitere Bewertung und Einordnung habe ich das vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) veröffentlichte Paper zur Ernährungssicherheit hinzugezogen, sowie die Wissenschaftler unseres Farm & Food-Netzwerks um eine Bewertung gebeten.
BVE: Der Fokus bei der Lebensmittelproduktion scheint sich immer mehr auf die Industrie zu verlagern. Selbst Fleisch könnte bald nicht mehr vom Bauernhof, sondern aus einem Labor stammen. Inwieweit stehen wir vor einer Revolution?
Sarah Liebigt: Um bei den exemplarischen Beispielen der oben erwähnten Studien zu bleiben: das kommt darauf an, wen man fragt. Zurzeit sieht es so aus, dass die neuen Alternativen zunächst deutlich teurer sein werden als konventionell erzeugte Produkte. Deswegen kann man über eine Mengenentwicklung keine zuverlässige Prognose abgeben, wie RethinkX und Kearney es versuchen. Auch wird nicht berücksichtigt, welche Konsum-Verschiebungen es zwischen den Fleischarten aus der konventionellen Erzeugung geben wird. Mitglied des Farm & Food-Beirats und WING-Leiter Prof. Dr. Windhorst sieht die dort genannten Zeitprognosen als sehr optimistisch und in diesem Umfang nicht realisierbar. – Auch wegen des politischen Widerstandes der konventionellen Produzenten, insbesondere im Bereich Milchviehhaltung und Rindermast.
Wir stehen nicht vor einer Revolution. Vielmehr stecken wir mittendrin im Umschwung, der heute allerdings noch einer Graswurzelbewegung mit ein paar berühmten Sponsoren gleicht. Die Transformation der Lebensmittelbranche hat längst begonnen: Nun muss sie von Verbrauchern und Produzenten gleichermaßen getragen und weiterentwickelt werden.
BVE: Wo beobachten Sie Grenzen?
Sarah Liebigt: Ich beobachte zwei Bereiche, die diesen Wandel aufhalten oder zumindest verlangsamen können: Das sind zum einen die Verbraucher. Noch sind konventionell erzeugte Salami und Bratwürste eine Selbstverständlichkeit, auf deren alltäglichen Konsum die wenigsten bereit sind, zu verzichten. Die veganen oder vegetarischen Varianten liegen zwar mittlerweile in den Regalen vieler Kaufhallen, aber Sojamilch für den Kaffee ist außerhalb der Großstadt nicht selbstverständlich zu bekommen. Weder die Nachfrage nach Alternativen noch die Bereitschaft zum (gelegentlichen) Verzicht auf konventionelle Produkte sind in der Masse vorhanden.
Der zweite Bereich liegt in der Verwaltung, wenn man so möchte bei der Frage nach Finanzierung, Technik und Entwicklung. Schauen wir auf Deutschland: Start-Ups haben es hier schwerer, (staatliche) Förderung zu bekommen, als beispielsweise in den USA oder Israel. Während wir uns darum streiten, ein Tofuschnitzel „Schnitzel“ nennen zu dürfen und aufgrund von gesetzlichen Vorschriften Knäckebrot aus Insektenmehl nicht importieren dürfen, haben andere Länder das Potenzial alternativer Proteinquellen entdeckt und investieren in deren Entwicklung.
BVE: Was können Besucher der Farm & Food 4.0, die sich für diesen Themenbereich interessieren, von der Veranstaltung am 20. Januar erwarten?
Sarah Liebigt: Die Farm & Food hat es sich zur Aufgabe gemacht, Trends und Hypes kritisch zu beleuchten. Die Sessions zur „Neuen Welt der Proteine“ drehen sich daher um die Frage, ob neue Proteinquellen wirklich eine Alternative zur konventionellen Produktion darstellen: Kann die Landwirtschaft profitieren oder entsteht hier ein neuer Zweig, der auch neue Konkurrenz für konventionelle Landwirte bedeutet? Wie können wir Landwirte dabei unterstützen, den bereits voranschreitenden Wandel aktiv mitzugestalten – anstatt ihn nur zu begleiten oder zu beobachten? Vertreter der Landwirtschaft werden hier gemeinsam mit Verbänden, Vertretern der „neuen“ Proteinproduktion und unseren TeilnehmerInnen diskutieren und arbeiten.
BVE: Vielen Dank für das Interview, Frau Liebigt!
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