Inhalt
Lebensmittelinnovation im Fokus: Ein Gespräch mit Asaf Cohen Jonathan
07.09.2023
Im Interview mit der BVE gewährt Asaf Cohen Jonathan tiefe Einblicke in die Welt der Lebensmittelinnovation. Mit dem Lebensmitteltechnikingenieur und Gründer mehrerer Start-ups diskutieren wir die Entwicklung neuer Lebensmittel und geben einen Ausblick auf die zukünftige Lebensmittellandschaft.
Wie kann man Produkte wie Fleisch ohne tatsächliches Fleisch oder Käse ohne Milch entwickeln?
Wenn wir neue Lebensmittel entwickeln, geht es zunächst darum, das gewünschte Produkt zu definieren und zu klären, mit welchem Verfahren es hergestellt und wie lange es haltbar sein soll. Wichtig ist, dass wir im Labor bereits so nah wie möglich an den späteren Herstellungsprozess herankommen. Dann wählen wir die Zutaten aus. Sie müssen die Produktanforderungen erfüllen und der notwendigen Funktionalität gerecht werden. Neue Texturen können wir dann schaffen, wenn wir verstehen, welche Zutaten über welche Verarbeitungsschritte, welche Texturen ergeben. Anstatt Kuhmilch zu nutzen und sie zu säuern, um Käse zu erhalten, können wir beispielsweise pflanzliche Proteine, Stärken und Stabilisatoren verwenden, um das Milchprotein zu ersetzen und so Käse herstellen. Das ist keine leichte Aufgabe. Stellen Sie sich vor, ich würde Sie bitten, andere Gemüse für Ihren Salat zu verwenden, aber dennoch den gleichen Salat zuzubereiten. Nachdem wir eine Textur erstellt haben, müssen wir den Geschmack verbessern, mit Aromen abstimmen und die Farbe anpassen, alles mit dem Ziel, das gleiche Verhalten, die gleiche Farbe, den gleichen Geschmack, jedoch aus völlig unterschiedlichen Zutaten zu erreichen.
Warum weist pflanzliches Fleisch immer noch nicht die gleiche Ähnlichkeit zu echtem Fleisch auf?
Ein Produkt ähnelt einem anderen, wenn mit anderen Zutaten dessen Textur, Geschmack und Gerüche nachgeahmt werden. Wir haben heute die technischen Möglichkeiten dafür. Allerdings müssen wir immer auch weitere Überlegungen mitberücksichtigen, wie die Kosten und den Nährwert, und wir müssen die Zutaten klar kennzeichnen. Letztlich ist es eine schwierige Aufgabe, eine Balance zu finden: optimalen Geschmack und Textur, realistische Produktionskosten und überschaubare Zutatenlisten.
Bei Foodtech denkt man an Zukunftsvisionen und gänzlich neue Lebensmittel. Handelt es sich tatsächlich um neuartige Lebensmittel oder gab es sie schon immer? Wie ist es konkret bei Proteinen und Zuckerersatzstoffen?
Wenn wir eine neue Textur oder ein neues Lebensmittel entwickeln, verarbeiten wir vertraute Zutaten. Wir verwenden sie in innovativen Rezepturen und stellen so eine neue Art von Lebensmittel her. Die EU-Verordnung definiert dabei, was das genau ist: nämlich Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 in der EU von Menschen nicht in nennenswertem Maße konsumiert wurden, sowie Lebensmittel, deren Zutaten durch neuartige Produktionsprozesse verändert wurden. Diese Produkte dürfen erst nach Genehmigung in den Handel gelangen. Zusätzlich haben wir heute neue Zutaten zur Verfügung, weil es Wissenschaftlern und Industrie in den letzten Jahren gelungen ist, z.B. Proteine mit innovativen Technologien zu extrahieren oder neue Zuckerarten sowie neue Zuckerkombinationen zu entwickeln.
Was ist das Geheimnis hinter einem neuen Produkt, das lecker, nachhaltig, mit sauberer Kennzeichnung, nahrhaft und nicht teuer ist?
Das Geheimnis liegt darin, das richtige Gleichgewicht zu finden! Die Entwicklung neuer Lebensmittel ist wie ein Satz von Gleichungen mit vielen Variablen und mehreren Lösungen. Sind Geschmack und Textur optimal, ist oft die Produktion sehr teuer. Um jedoch die Herstellungskosten zu reduzieren, benötigen wir in der Regel Stabilisatoren wie Methylcellulose und Bindemittel. Allerdings haben wir dann eine lange Liste an Zutaten. Daher geht es in der Produktentwicklung immer um Entscheidungen: Sind Sie mutig genug, ein teures Produkt auf den Markt zu bringen, das perfekt ist? Sind Sie bereit, die Kohlenhydrate zu reduzieren, aber dafür Bindemittel zu verwenden, um die Textur auszugleichen? Und sind Sie bereit, pflanzliche Proteine hinzuzufügen, selbst wenn sie einen Eigengeschmack haben?
Wie bringen Startups ein innovatives Produkt auf den Markt, wenn die Produktion an einen Co-Hersteller ausgelagert wird und wo befindet sich das geistige Eigentum?
Wenn ein Startup seine Produktion an einen anderen Hersteller auslagert, bleiben die Rechte an dem Produkt in der Regel beim Startup. In den meisten Fällen wird das Produkt jedoch weniger innovativ sein im Vergleich zu einem Startup, das selbst produziert. Wird beispielsweise ein Fleischersatzprodukt in einer Anlage hergestellt, die ansonsten Produkte aus Fleisch verarbeitet, mag die Rezeptur innovativ sein, doch es fehlt der neuartige Herstellungsprozess.
Warum dauert es so lange, und warum ist ein Startup dafür notwendig?
Es dauert lange, weil die möglichen Kombinationen endlos sind. Zugleich ist das Verständnis der Inhaltsstoffe und ihrer Funktionalitäten sehr komplex. Gute Produkte lassen sich aus meiner Sicht nur aus einem Zusammenspiel wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Kunst diese anzuwenden, entwickeln. Vor diesem Hintergrund bietet ein Startup die Möglichkeit ein agiles Team anhand individueller Entwicklungsanforderungen zusammenzustellen.
Wie wird die Lebensmittellandschaft in 10 und in 50 Jahren aussehen?
Wir werden in den kommenden Jahren sehen, dass im Labor gezüchtete Zellen immer häufiger in unsere Produkte integriert werden – nicht nur, weil es nachhaltig ist, sondern auch, weil es dem Ursprung, den wir kennen, am ähnlichsten ist. Es werden neue Lebensmittel entwickelt, und es wird neue Trends geben. Am meisten hoffe ich darauf, dass die Wissenschaft weitere Technologien und Verfahren entwickelt, mit denen wir neue Lebensmittel herstellen können. Lebensmittel, die heute neuartig sind, werden dann längst fester Bestandteil unseres Alltags sein. In 50 Jahren werden wir noch einen Schritt weiter sein. Die Bevölkerung wächst und wir müssen neue Wege finden, wie die Menschen ernährt werden können. Ich denke, dass dies u.a. dazu führen wird, dass wir mehr Nahrungsergänzungsmittel und funktionale Lebensmittel zu uns nehmen werden, um damit Ressourcen auszugleichen.
Asaf Cohen Jonathan
Asaf Cohen Jonathan lebt in Haifa, Israel. Er gilt als einer der besten Kenner des dortigen Foodtech Innovationsökosystems und ist selbst Gründer mehrerer Startups. Fokusthemen des Lebensmittelingenieurs (Technion – Israel Institute of Technology in Haifa) sind pflanzliche Proteine und Stabilisatoren (Hydrokolloiden).
Wer sich für das israelische Foodtech Ökosystem interessiert, hat die Möglichkeit, sich selbst vor Ort ein Bild zu machen. Vom 4.-8.11. findet eine Reise nach Israel statt, die sich speziell an Unternehmen der Lebensmittelindustrie richtet. Asaf Cohen Jonathan wird die Reise vor Ort begleiten und ist Ihr fachlicher Ansprechpartner.
Mehr Informationen erhalten Sie hier.