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Alternative Genschere aus Hessen
Das hessische Biotech-Unternehmen BRAIN Biotech hat eine Alternative zur bekannten Genschere CRISPR/Cas9 entwickelt und nun das Patent angemeldet. Die neue BEC-Technologie könnte für Unternehmen kostengünstiger und einfacher eingesetzt werden.
Die Genschere CRISPR/Cas9 war eine im wahrsten Sinne einschneidende Revolution für die Gentechnik. Mit ihr können zum Beispiel Kulturpflanzen widerstandsfähiger gegen schädliche Pilze, Viren und Bakterien gemacht werden – sehr viel schneller und gezielter als mit herkömmlicher Züchtung. Im Jahr 2020 erhielt die Methode den Nobelpreis für Chemie. Doch Patent-Streitigkeiten und hohe Kosten erschweren den Einsatz der Genschere. Ein deutsches Tool könnte die Genom-Editierung nun vorantreiben.
2.000 bisher ungenutzte Nukleasen
Die von BRAIN Biotech entwickelte Technologie basiert auf einer Reihe neu analysierter Nukleasen. Dafür hat das Unternehmen Bakterien aus unterschiedlichen Gewässern entnommen und ihre Genome sequenziert. Daraus konnte das Forscherteam 2.000 bisher ungenutzte CRISPR-Nukleasen identifizieren. 15 von ihnen wurden bereits im Detail analysiert und zum Teil auf ihre Genom-Editing-Aktivität getestet.
Für die BRAIN-Engineered-Cas (BEC)-Nuklease, die im Mai 2021 erstmals vorgestellt wurde, ist nun der Patentschutz beantragt worden. Im Dezember 2021 hatte das Unternehmen bereits eine weitere Nuklease vorgestellt: die sogenannte BRAIN-Metagenome-Cas 01 (BMC01). Dr. Paul Scholz, Leiter des Cas-Nuklease-Forschungsprogramms bei der BRAIN Biotech AG, erklärt: „BEC und BMC01 sind zwei neue Genom-Editing-Nukleasen mit deutlich differenzierbaren Eigenschaften, die uns die Möglichkeit geben, in verschiedenen Anwendungsbereichen ihr jeweils spezifisches Potenzial zu nutzen."
Lukas Linnig, CFO der BRAIN Biotech AG, sieht klare Wettbewerbsvorteile: „Wir setzen unsere CAS-Nukleasen bereits heute auf Wunsch in Projekten ein, so dass unsere Kunden von schnellerem, günstigen und präziseren Genom-Editing profitieren. Insgesamt sehen wir uns als preislich kompetitiv an und bieten unseren Kunden zusätzlich eine vorteilhaftere Patentlage. Hinter vielen anderen CRISPR-Cas-Systemen verbirgt sich eine deutlich komplexere Patentsituation, die viele potentielle Nutzer abschreckt.“
Das Krankheitsgedächtnis von Bakterien
Die Genscheren-Technologie nutzt die Immunabwehr von Bakterien. Diese können krank werden, wenn sie von Viren befallen werden. Viren, die Bakterien krankmachen, heißen Phagen. Die Bakterien merken sich deren genetische Fingerabdrücke und übernehmen Teile der Viren-DNA in eigene DNA-Abschnitte, die sogenannten CRISPR-Bereiche. Dringt erneut ein Virus ein, erkennt es ein Enzym und zerschneidet dessen DNA. Damit kein Fehler passiert, bekommt die Schere eine exakte Zielangabe mit auf den Weg, wo es das Erbgut des Virus schneiden soll. Forscher können diese Enzyme so umprogrammieren, dass sie in anderen Organismen gezielt einzelne Gene verändern.
Mithilfe des CRISPR/Cas-Systems konnten bereits phagenresistente Joghurt-Bakterien hergestellt werden. In der Landwirtschaft macht sich die Technik Abläufe zunutze, die auch in der Natur vorkommen oder durch klassische Züchtung hervorgerufen werden. So können Nutzpflanzen resistenter gegen Krankheiten und Schädlinge gemacht und damit Ertragsverluste und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln minimiert werden. Pflanzen können zudem hitze- und dürreverträglicher gemacht werden, um den Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken.
Lukas Linnig, CFO der BRAIN Biotech AG sieht das Einsatzpotenzial der neuen Nukleasen auch im Bereich alternativer Proteine: „Unsere BEC-Technologie kann zum Beispiel bei der Entwicklung und Optimierung von mikrobiellen Produktionsstämmen für die Herstellung alternativer, also tierfreier Proteine eingesetzt werden.“
Anpassung des europäischen Gentechnikrechts
Die Genschere gehört zu den genomischen Techniken (NGT). Damit werden Produkte, die mit dieser Technik hergestellt werden, als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eingestuft. Das geht aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus 2018 auf Grundlage des veralteten EU-Gentechnikrechts hervor. Diese Entscheidung steht nach Auffassung der BVE der verantwortungsvollen Nutzung der NGT für eine nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung im Sinne des European Green Deal im Weg.
In einem gemeinsamen Positionspapier von verschiedenen Verbänden der Agrar-, Gartenbau- und Ernährungswirtschaft spricht sich auch die BVE dafür aus, hierzu einen zeitgemäßen Rechtsrahmen zu schaffen. Stefanie Sabet, Geschäftsführer der BVE, sagt: „Die Versorgung mit hochwertigen und nachhaltigen Nahrungsmitteln ist unsere wichtigste Prämisse. Fortschrittliche Instrumente wie neue genomische Techniken können dafür einen wichtigen Beitrag leisten.“