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"Eine Zusammenarbeit scheitert nicht daran, dass jemand das falsche Geschenk mitgebracht hat."
01.06.2022
Kulturelle Missverständnisse können Unternehmen viel Zeit und Geld kosten. Im Interview berichtet Thu Phong Vuong, worauf es bei den entsprechenden Verhandlungen ankommt und was das Ziel seiner Coachings ist. Als gebürtiger Chinese ist er in Deutschland aufgewachsen und seit 1999 als interkultureller Trainer tätig. Am 08. Juni 2022 spricht er auch auf dem Außenwirtschaftsseminar der Agrar- und Ernährungswirtschaft.
BVE:
Für welche Länder gibt es den größten interkulturellen Beratungsbedarf?
Thu Phong Vuong:
Das ist von verschiedenen Faktoren abhängig, wie beispielsweise die Attraktivität des Marktes, aber auch der erlebten oder vermuteten kulturellen Unterschiede. Asiatische Länder wie Japan, China, Indien und auch Vietnam werden unter anderem von Kunden häufig angefragt. Auch die USA sind wichtig. Oft werden aber auch die Unterschiede zu Nachbarländern wie Frankreich oder die Niederlande unterschätzt. Es gibt nicht wenige Franzosen, die nach einem China-Training sagen, sie hätten mehr mit den Chinesen gemeinsam als mit den Deutschen.
BVE:
Was ist generell für Verhandlungsrunden im Ausland zu beachten?
Thu Phong Vuong:
Verhandlungsprozesse sind eine Art Königsdisziplin in der interkulturellen Begegnung. Hier gibt es viele wichtige Faktoren die häufig zu wenig Beachtung finden. Ein Beispiel: Häufig beobachten wir, dass erfahrene Fachkräfte für Verhandlungen beispielsweise nach Asien geschickt werden. Entscheidungen werden dort aber häufig nicht auf dieser Ebene gemacht, egal wie hoch die Expertise ist, sondern in erster Linie auf der Führungsebene. Häufig schicken dann die potenziellen Partner ebenfalls Mitarbeiter auf einer ähnlichen Ebene, die dann aber nur selten Entscheidungen treffen können. Die Verhandlungen können so nicht vorankommen. Verhandlungen sind im Ausland noch viel häufiger als hier eine Chefsache.
BVE:
Ein interkulturelles Training ist vielschichtig. Was ist ihr wichtigstes Ziel?
Thu Phong Vuong:
Interkulturelle Trainings sollten kein Fettnäpfchen-Ratgeber sein. Ich habe in meiner 15-jährigen Beratungspraxis nie erlebt, dass eine Zusammenarbeit daran gescheitert ist, weil jemand das falsche Geschenk mitgebracht hat. Es geht auch nicht darum, dass wir uns jeder anderen kulturellen Erwartung anpassen müssen. Wir sollten aber verstehen, welche Konsequenzen unser Bestehen auf die uns übliche Vorgehensweise haben kann. Das Ziel ist, am Ende selbstbewusst, aber auch offen mit anderen Kulturen umgehen zu können. Es ist auch wichtig, andere Kulturen nicht in erster Linie als Problem zu betrachten, sondern mehr als Möglichkeit, den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Häufig hören wir beispielsweise, dass Kollegen aus bestimmten Ländern wie in Asien und Afrika tendenziell zurückhaltender sind in Meetings.
BVE:
Was raten Sie hier beiden Seiten?
Thu Phong Vuong:
Wir würden uns hier wünschen, dass diese Menschen aktiver Fragen stellen oder Ideen teilen. Viele Menschen aus diesen Gebieten sind aber eher gruppenbezogen als individualistisch. Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass wir uns im Hinterkopf die Frage stellen: „Betrifft diese Frage irgendjemand anderem in diesem Meeting oder nur mich?“. Wir möchten nicht die Zeit der Gruppe verschwenden. Es gibt einen guten Grund dafür, warum in Umfragen viele Angestellten in Deutschland sagen, höchstens 25% der Meetings sind wirklich für sie relevant, während die Quote in den anderen Ländern fast doppelt so hoch ist. Wenn man solche Faktoren kennt, kann man sie nutzen, um auch die eigenen Meetings effizienter zu gestalten, und z.B. einen festen Rahmen für Fragen zu geben, in dem nicht alle Personen mehr anwesend sein müssen. Andere Kulturen können so mehr als „Schatztruhe“ betrachtet werden.
BVE:
Haben Sie besondere Trainingsmethoden, mit denen Sie arbeiten?
Thu Phong Vuong:
Wir gehen gerne nach dem Konzept ASK vor. Es steht für Awareness, Skills und Knowledge. Nur Wissen zu transportieren reicht nicht aus, wenn nicht auch die Bereitschaft und die Fähigkeiten da sind, um dieses anzuwenden. Es gibt inzwischen auch gute Online-Möglichkeiten, um diese drei Faktoren zu vereinen. Beispielsweise wäre es möglich, die Teilnehmenden zu bitten, eine E-Mail an einen hypothetischen Kollegen zu verfassen, der wiederholt die Deadlines nicht einhält. Wenn man die verschiedenen E-Mails von den deutschen Kollegen vergleicht, kann man hier eine große Bandbreite sehen. Vor allem können wir mit modernen Online Tools die E-Mails von der Gruppe selber bewerten lassen, und dann häufig sehen dass es auch in Deutschland oft nicht gut ankommt, viel mit Ausrufezeichen und erhobenen Zeigefinger zu arbeiten. Auf diese Weise wird ganz praktisch ein Bewusstsein dafür geschaffen, welche Konsequenzen unsere tagtägliche Kommunikation häufig hat, ohne dass wir uns derer bewusst werden. Wenn das Bewusstsein dafür gelegt ist, können wir uns mit weiteren Übungen daran machen, wie wir unsere E-Mail-Kommunikation zielführender gestalten können. Das ist nur ein Beispiel für unsere Arbeitsweise.
BVE:
Über welche Information staunen deutsche Fach- und Führungskräfte am häufigsten?
Thu Phong Vuong:
Es ist schwer, die Frage pauschal zu beantworten. Aber auch hier ein Beispiel: Wenn wir deutsche Arbeitnehmer fragen, welche Eigenschaft ihnen mit anderen Geschäftspartnern und Kollegen am Wichtigsten ist, dann kommt zumeist als erstes das Thema „Zuverlässigkeit“. Darunter wird hier verstanden, dass Vereinbarungen einzuhalten sind. Wenn wir jetzt erklären, dass dieses Konzept in der Welt unterschiedlich verstanden werden kann, sorgt dieses oft für Erstaunen. In Deutschland sehen wir beispielsweise eine Bringschuld, wenn wir eine Vereinbarung nicht einhalten können: Ich bin in der Verantwortung, rechtzeitig Bescheid zu geben. In vielen anderen Ländern sind aber Veränderungen an der Tagesordnung, so dass die Person in der Holschuld ist, der eine Deadline wichtiger ist. Das ist der Grund, warum manchmal Menschen aus anderen Kulturen häufiger mal nachhaken, und als „very urgent“ markieren, da sonst der Eindruck sein könnte, das Anliegen hätte sich erübrigt. Machen wir selber das nicht, wird genau das gerne angenommen.
BVE:
Vielen Dank für das Gespräch!
Mehr Infos zum 4. Außenwirtschaftsseminar der Agrar- und Ernährungswirtschaft am 08. Juni 2022 erfahren Sie
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