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"Gerade jetzt ist es wichtig, die Märkte offen zu halten."
02.06.2022
In Krisenzeiten kommt es mehr denn je auf eine gute und transparente internationale Zusammenarbeit an. Dr. Karl Wessels, Leiter der Unterabteilung Bodenmarkt, Export und Absatzförderung im BMEL, diskutiert auf dem 4. Außenwirtschaftsseminar der Agrar- und Ernährungswirtschaft am 08. Juni 2022 über „Instrumente zur Sicherung des internationalen Handels mit Lebensmitteln und Getränken „made in Germany“ in Zeiten von globalen Konflikten“. In unserem Vorab-Interview fordert er die Unternehmen auf, ihre Import- und Exportbeziehungen auf den Prüfstand zu stellen und empfiehlt: mehr Diversifizierung und weniger Abhängigkeit für eine stärkere Resilienz.
BVE:
Wie hat der Ukrainekrieg den internationalen Handel verändert?
Dr. Karl Wessels:
Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg in der Ukraine hat zu erheblichen Unsicherheiten an den Weltmärkten geführt. Die Schwarzmeer-Region spielt eine sehr große Rolle bei der Versorgung mit Agrarrohstoffen, wie Getreide und Ölsaaten. Außerdem tragen die bereits vor dem Krieg stark gestiegenen Preise für Energie wesentlich dazu bei, dass sich Lebensmittel verteuern. In Nordafrika, im Nahen Osten, Südostasien aber mittlerweile auch in anderen Regionen der Welt, zeigt sich deutlich, dass der Krieg auch den Druck auf die globalen Ernährungssysteme erhöht hat. Einige Länder reagieren mit Protektionismus: Indien, Indonesien oder Ungarn haben den Export eigener Agrarrohstoffe erschwert oder gar verboten. Diese Exportrestriktionen sind unsolidarisch und führen zu weiteren Preissteigerungen. Gerade jetzt ist es wichtig, die Märkte offen zu halten. Auch Transparenz ist notwendig. Die G7-Agrarministerinnen und -Agrarminister haben sich daher verpflichtet, die Preise von Produktions- und Lebensmitteln stärker zu überwachen und AMIS zu stärken. Auch bei der WTO laufen entsprechende Initiativen. Aber der Krieg spaltet die Nationen und erschwert die WTO-Verhandlungen.
BVE:
Welche wirtschaftlichen Hilfestellungen leistet die EU für die Ukraine und wie können wir zur globalen Ernährungssicherung beitragen?
Dr. Karl Wessels:
Deutschland setzt sich in der EU dafür ein, die Ukraine so gut wie möglich zu unterstützen. Wichtig ist, der Ukraine zu helfen, ihr Getreide an den Weltmarkt zu bekommen. Das ist eine Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft. Die EU hat dazu den Aktionsplan „Solidarity Lanes“ aufgelegt. Ein wichtiger Schritt ist auch, dass die Zölle für ukrainische Exporte in die EU für ein Jahr ausgesetzt und die technische Abwicklung an der EU-Außengrenze erleichtert werden sollen. In Deutschland selber wurden infolge des Krieges Maßnahmen eingeleitet, um die Krisenresilienz der landwirtschaftlichen Betriebe zu erhöhen. So wurde der Aufwuchs auf den sogenannten ökologischen Vorrangflächen zur Futternutzung freigegeben. Das hilft, die Landwirtschaft weniger abhängig von Futtermittelimporten zu machen, ohne dass damit gravierende ökologische Beeinträchtigungen einhergehen. Darüber hinaus hat Bundesminister Özdemir in Brüssel vorgeschlagen, die Fruchtfolgeregelung der neuen EU-Agrarpolitik ausnahmsweise um ein Jahr zu verschieben. Landwirtinnen und Landwirte könnten damit zwei Jahre in Folge Weizen auf derselben Fläche anbauen und einen Beitrag für die weltweite Versorgungssicherheit leisten. Natürlich gibt es gute Gründe für den Fruchtwechsel, zum Beispiel, die natürliche Bodenfruchtbarkeit zu erhalten. Diese Entscheidung ist daher nicht leichtgefallen. Das zeigt aber auch: Ernährungssicherheit, Klimaschutz und Erhalt der Artenvielfalt müssen sich nicht ausschließen.
BVE:
Was ist aus Ihrer Sicht momentan am dringlichsten im Hinblick auf Exportbeziehungen?
Dr. Karl Wessels:
Nicht nur der Krieg in der Ukraine bedroht die Ernährungssicherheit. Der Hunger in der Welt ist dort am schlimmsten, wo die Klimakrise bereits voll zuschlägt: Am Horn von Afrika beispielsweise erleben wir in diesem Jahr eine extreme Dürre mit furchtbaren Konsequenzen für die Menschen dort. Zusätzlich hat die Pandemie in einigen Ländern zu Einkommenseinbrüchen geführt, von denen sich viele Menschen noch nicht erholt haben. In diesen angespannten Zeiten müssen Exportbeziehungen zuallererst dazu genutzt werden, Agrarrohstoffe und Lebensmittel dorthin zu liefern, wo sie dringend gebraucht sind. Deshalb brauchen wir einen weltweit möglichst reibungslosen Agrarhandel. Dabei sind aber auch die Unternehmen gefordert. Sie sollten die aktuelle Krise zum Anlass nehmen, ihre Im- und Exportbeziehungen auf den Prüfstand stellen. Mehr Diversifizierung kann zu stärkerer Krisenresilienz führen. Zu große Abhängigkeiten von einzelnen Lieferländern oder Zielmärkten sollten vermieden und abgebaut werden.
BVE:
Um das Absatzpotenzial deutscher Produkte im Ausland zu vergrößern, erstellt das BMEL regelmäßig Marktstudien und Länderberichte. Welche deutschen Lebensmittel-Produkte sind besonders beliebt?
Dr. Karl Wessels:
In Bezug auf die Produkte unserer Ernährungswirtschaft ist „Made in Germany“ gleichbedeutend mit beeindruckender Produktvielfalt, anspruchsvollen Qualitätsstandards und höchster Lebensmittelsicherheit. Die deutsche Ernährungswirtschaft ist einer der innovativsten und produktivsten Wirtschaftszweige unseres Landes. In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Unternehmen, die aus regionalen Traditionen Spezialitäten herstellen, die inzwischen nicht nur in ganz Deutschland, sondern auch international erfolgreich sind. Dies betrifft die gesamte Produktpalette der deutschen Ernährungswirtschaft.
BVE:
Um kleine und mittelständische Unternehmen bei der Markterschließung im Ausland zu unterstützen, hat das BMEL fünf Kompetenzstellen errichtet: in Japan, China, Vietnam, Südafrika und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Welchen Service bekommen die Unternehmen vor Ort?
Dr. Karl Wessels:
Die Kompetenzstellen unterstützen vor allem mit Informationen zu Marktstrukturen, Zöllen, Einfuhrbedingungen und -genehmigungen. Das Portfolio einer Kompetenzstelle beinhaltet außerdem Beratungsgespräche und Geschäftspartnervermittlungen für deutsche Unternehmen. Diese werden von uns mit bis zur Hälfte der Kosten gefördert. Jede Kompetenzstelle baut ein Kontaktnetzwerk im In- und Ausland auf und arbeitet mit der Deutschen Botschaft, GTAI-Korrespondenten und den deutschen Exportfachverbänden zusammen. In China gehört auch das Deutsch-Chinesische Agrarzentrum zum Kontaktnetzwerk der Kompetenzstelle. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kompetenzstellen bringen erstklassiges Know-how mit. Denn sie sind Teil der jeweiligen Außenhandelskammer vor Ort.
BVE:
Wie gut wird das Angebot angenommen?
Dr. Karl Wessels:
Die Kompetenzstellen finden guten Zulauf. Und das, obwohl die vier jüngsten Stellen erst im März ihre Aufbauphase abgeschlossen haben. Ich freue mich, dass Vertreterinnen und Vertreter der Kompetenzstellen auch auf dem Außenwirtschaftsseminar Beiträge präsentieren werden. Das diesjährige Seminar bietet eine gute Gelegenheit, um Unternehmen gezielt auf die Kompetenzstellen und das Angebot aufmerksam zu machen.
BVE:
Unternehmen haben die Möglichkeit, sich unter dem Dach „made in Germany“ auf Auslandsmessen zu präsentieren. Sind Messen ein wichtiger Hebel, um im Ausland Fuß zu fassen?
Dr. Karl Wessels:
Messen dienen der Agrar- und Ernährungsbranche als zentrales Element der Marktpflege und bei der Erschließung von Zukunftsmärkten – insbesondere in Drittländern. Unser Auslandsmesseprogramm hat sich seit über vier Jahrzehnten als fester Bestandteil der Auslandsmesseförderung der Bundesregierung etabliert. Zielgruppe sind dabei vorwiegend die kleinen und mittleren Unternehmen. Sie sind oft ein wichtiger Arbeitgeber in unseren ländlichen Räumen und tragen dort zu Wertschöpfung und Zusammenhalt bei. Wir setzen vor allem auf Messen, auf denen sich kleine und mittlere Unternehmen ohne Unterstützungsimpulse gar nicht präsentieren könnten, weil dafür häufig Finanzmittel und notwendige Organisationskapazitäten fehlen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer mitteständisch geprägten Unternehmen der Agrar- und Ernährungsbranche.
BVE:
Was möchten Sie Unternehmen auf den Weg geben, die neue Märkte erobern möchten und noch ganz am Anfang stehen?
Dr. Karl Wessels:
Die aktuelle Krise lässt sich nicht bewältigen, indem andere Krisen verschärft werden. Das heißt: Wir müssen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Klimaanpassung weiter voranbringen und dürfen dabei nicht nachlassen. Klimakrise und Artensterben pausieren nicht, nur, weil Russland die Ukraine überfällt. Mein Rat an junge, exportwillige Unternehmerinnen und Unternehmer an: Setzten Sie bei Ihrem Geschäftsmodell und bei der Erschließung neuer Exportmärkte konsequent auf die drei Säulen der Nachhaltigkeit. Denn nur wem es gelingt, Ökonomie, Ökologie und Soziales konsequent und überzeugend zusammenzuführen, wird auf den Exportmärkten der Zukunft nachhaltigen Erfolg haben.
BVE:
Vielen Dank für das Interview!
Dr. Karl Wessels diskutiert auf dem Außenwirtschaftsseminar 2022 über „Instrumente zur Sicherung des internationalen Handels
mit Lebensmitteln und Getränken „made in Germany“ in Zeiten von globalen Konflikten“.