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Getreideernte 2020: Weniger Trockenschäden
Weihnachten wirft seine Schatten voraus, aber die Corona-Pandemie lässt viele der üblichen Adventszeitaktivitäten nicht zu. Umso schöner ist es, dass man zuhause immerhin noch Plätzchen backen kann. Mehl steht somit wieder auf vielen Einkaufszetteln. Wir fragen Herrn Dr. Peter Haarbeck, Geschäftsführer des Verbands der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft VGMS e.V. , wie die Ernte der verschiedenen Getreidesorten trotz extremer Wetterbedingungen ausgefallen ist und welche Maßnahmen auch zukünftig die Versorgung sicherstellen können.
BVE: Die vergangenen zwei Jahre waren von extremer Hitze und Trockenheit geprägt. Dieses Jahr gibt es wieder mehr Regen, doch einige Regionen Deutschlands scheinen weiterhin zu trocken zu sein. Wie ist die Ernte 2020 ausgefallen?
Dr. Peter Haarbeck: Trotz deutlich geringerer Weizen-Anbaufläche wurden in Deutschland etwa 22 Millionen Tonnen Weizen und auf – erstmals seit Jahren gleichbleibender – Fläche 3,5 Millionen Tonnen Roggen geerntet. Die Müller brauchen davon etwa 8,5 Millionen Tonnen. Mengen und passende Qualitäten sind grundsätzlich vorhanden, auch wenn das dritte Jahr in Folge schwierige Wetterbedingungen wie Trockenheit oder Spätfröste im Winter zu regional sehr heterogenen Ergebnissen geführt haben. So konnten im Schnitt 9,2 t Weizen/ha in Schleswig-Holstein, im Saarland nur 6,4 t/ha geerntet werden. Im Bundesdurchschnitt lag der Ertrag mit fast 7,9 t/ha sogar leicht über dem Fünfjahresdurchschnitt von etwa 7,8 t/ha. Die diesjährige Winterweichweizen-Ernte weist im Vergleich zum Vorjahr einen im Durchschnitt um 0,3 geringeren Rohproteingehalt von 12,3 Prozent auf. Rohproteingehalte von 13 Prozent und mehr wurden in Sachsen-Anhalt und Thüringen festgestellt. Auch wenn das Gesamtprotein im Vergleich zum Vorjahr geringer ist, ist das Protein-Kleber-Verhältnis vielerorts besser.
Der Roggenertrag war mit 55,1 dt/ha in diesem Jahr sehr gut. Qualitativ stellt sich auch die diesjährige Winterroggen-Ernte als heterogen und enzymarm dar. Das durchschnittliche Vorkommen von Mutterkornsklerotien ist im Erntejahr 2020 gegenüber dem Vorjahr deutlich erhöht. Hier werden die Mühlen sehr aufmerksam auswählen müssen.
Dinkel erlebt eine Renaissance. Die Vermahlungsmengen haben sich in den letzten fünf Jahren fast verdreifacht. Auch wenn valide Daten fehlen, gehen Marktteilnehmer von etwa 100.000 ha Anbaufläche beim Dinkel aus. Erste Einschätzung der dinkelvermahlenden Mühlen sehen auch hier ausreichend gute Qualitäten. In einigen Regionen hat der Regen während der Ernte aber auch zu Auswuchsschäden geführt.
Besonders spannend sind in diesem Jahr die Ergebnisse der Haferernte. Die Hafermühlen im VGMS setzen sich für eine Widerbelebung des Haferanbaus in Deutschland ein. Erste Früchte dieser Initiative sind die deutlich ausgeweiteten Haferanbauflächen. So lag der Flächenzuwachs von 2019 auf 2020 bei etwa 25 Prozent, von 126.000 auf 156.000 ha. Zwar sind die Erträge pro Hektar etwas niedriger als in den Vorjahren, die Qualitäten jedoch stimmten Landwirte und Müller bisher zufrieden.
Das Fazit lautet also: Was die Qualitäten im Bundesdurchschnitt betrifft, sind die Müller zufrieden. Hektolitergewichte und Feuchte liegen höher, Schmachtkornanteil niedriger und Fallzahlen sind besser als im letzten Jahr. All das sind Indizien dafür, dass es in der Fläche weniger Trockenschäden gab als in den letzten beiden Jahren. Trotzdem wird die Beschaffung auch in diesem Jahr für die Mühlen aufgrund der Heterogenität der Ernte wieder deutlich aufwendiger werden.
BVE: Bei welchen Getreidearten gab es die größten Einschnitte?
Dr. Peter Haarbeck: Für die Müller im VGMS interessant sind vor allem Weizen, Roggen, Dinkel, Durum und Hafer. Einschnitte sehen wir in Deutschland bisher bei keiner dieser genannten Arten. Und auch in den europäischen Nachbarstaaten sieht es ganz gut aus. Nur die EU-Durum-Ernte bleibt wohl nach aktuellen Schätzungen der EU-Kommission von August 2020 deutlich unter dem bereits niedrigen Vorjahresniveau. In Deutschland, wo der Durum häufig im Vertragsanbau läuft, stieg in diesem Erntejahr der Ertrag von 155.000 auf 181.000 Tonnen. Grund dafür sind vor allem bessere Hektarerträge. Das Wetter für den sommertrockenheitsliebenden Durum scheint in den Anbauregionen in diesem Jahr besonders gut gepasst zu haben.
Weitere Herausforderungen könnte es in der ein oder anderen Gegend beim Qualitätsweizen mit mehr als 13 Prozent Protein geben.
BVE: Für welche Getreideart war das Wetter dieses Jahr günstig?
Dr. Peter Haarbeck: Das kann man nicht am Getreide festmachen. Es gab Regionen, in denen der Regen schlichtweg gefehlt hat oder zu spät gekommen ist. Hier sehen wir zum Beispiel niedrige Erträge oder schlechte Proteinwerte.
BVE: Welche Konsequenzen haben die Unternehmen aus den Dürrejahren gezogen? Inwieweit sind sie auf weitere Wetterextreme vorbereitet?
Dr. Peter Haarbeck: Auf die Wetterextreme müssen zunächst die Landwirte reagieren, angefangen bei der richtigen Sortenwahl. Die Müller arbeiten eng mit ihren Partnern in der Wertschöpfungskette zusammen. Müller sind mit Landwirten und Bäckern dazu im Gespräch, welche Anforderungen Getreide für die Herstellung von Lebensmitteln erfüllen muss. Schon seit vielen Jahren gibt es hierzu Sortengespräche mit den Landwirten und Züchtern. Die Mühlen fordern schon lange eine konsequente sortenreine Erfassung, ein Thema, dass nur gemeinsam mit dem Getreidehandel gelingen kann. Ziel der sortenreinen Erfassung ist es, spezifische Sorteneigenschaften in der Herstellung von Backwaren besser zum Tragen zu bringen. Aber auch die sortenreine Erfassung hat Grenzen, wenn man bedenkt, dass allein beim Weichweizen über 100 Sorten im Anbau sind.
Auch die Getreidezüchtung ist gefragt, wenn es darum geht, Sorten zu entwickeln, die klimaresistenter sind. Daran wird bereits gearbeitet und diese Arbeit wird ständig weitergeführt.
Letztlich können sich die Müller nur bedingt auf Wetterextreme vorbereiten. Bisher ist global ausreichend Getreide vorhanden, im Extremfall müsste die heute sehr regionale Versorgung wieder auf Importe zurückgreifen.
BVE: Wo bedarf es noch weiterer Unterstützung, welche Potenziale werden noch nicht vollkommen ausgeschöpft, um auf zunehmende Wetterextreme reagieren zu können?
Dr. Peter Haarbeck: Die Frage nach entsprechenden Vorkehrungen hinsichtlich des Klimawandels wird entscheidend am Züchtungserfolg neuer Sorten hängen, die mit Trockenheit oder Dürrestress besser zu Recht kommen. Traditionelle Züchtungsverfahren sind sehr langwierig. Eine offene Debatte um die Chancen neuer Züchtungsmethoden wie Crisp/Cas gehört aus Sicht der Müllerei und andere Wertschöpfungspartner sicherlich dazu, wenn es darum geht, langfristig Versorgungssicherheit auch unter sich wandelnden Klimabedingungen garantieren zu wollen. Aber auch im Ackerbau kann einiges unternommen werden, um dem Klimawandel zu begegnen: Zwischenfrüchte, Humusaufbau, Mulchsaat, optimaler Einsatz der Bodenbearbeitungsmaschinen und viele andere Maßnahmen mehr.
BVE: Vielen Dank für das Interview!