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„Größere Schwankungen der Erntemengen von Jahr zu Jahr“
Das dritte Jahr in Folge bereitet das Wetter den Obst- und Gemüselandwirten und der verarbeitenden Industrie Kopfzerbrechen. Im Interview erzählt Christoph Freitag, Geschäftsführer des Bundesverbands der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie e.V. (BOGK), welche Rohwaren die größten Einschnitte verzeichneten, welche Ernte gut ausgefallen ist und welche Maßnahmen von Landwirtschaft, Industrie, Handel und Politik ergriffen werden sollten, um den Anbei von Obst, Gemüse und Kartoffeln zu sichern.
BVE: Die vergangenen zwei Jahre waren von extremer Hitze und Trockenheit geprägt. Dieses Jahr gibt es wieder mehr Regen, doch einige Regionen Deutschlands scheinen weiterhin zu trocken zu sein. Wie bewerten Sie die Wettersituation für die Ernte 2020?
Christoph Freitag: Es war nach dem Pflanzen im Apri/Mai 2020 lange trocken. Dennoch konnten die Frühsorten von den dann folgenden Niederschlägen im Juni und Anfang Juli noch profitieren und brachten gute Erträge. Kalte und nasse Nächte haben aber den Krankheitsdruck erhöht. Gerade im Bio-Anbau von Einlegegurken sind Pilzbefall, Mehltau und Spinnmilben zu einem Problem geworden. Ende Juli und im August war es wieder zu trocken und im August auch zum Teil sehr heiß. Dies hat insbesondere zu Problemen mit der Fruchtgröße bei Schattenmorellen in Sachsen und Brandenburg geführt.
In den europäischen Erntegebieten, aus denen unsere Mitglieder Rohware beziehen (zum Beispiel Polen), machten sich auch in diesem Jahr zum Teil extreme Wetterbedingungen (kurzfristige Schwankungen zwischen Starkregen und Hitze) bemerkbar – mit negativem Einfluss auf Fruchtqualitäten und -verfügbarkeiten. Auch hier begünstigte die Nässe Krankheiten an den Früchten, die Hitze ließ zum Beispiel die Früchte im oberen Teil der Bäume „verbrennen“, was unter anderem zu Einbußen bei Geschmack und Steinlöse-Fähigkeit in der Verarbeitung führt. Andererseits war die Gemüseernte in Südeuropa und der Türkei nicht verzögert. Diese Länder sind mit guten Erträgen früh gestartet; ähnlich sah es auf dem Balkan aus.
BVE: Bei welchen Rohwaren zeichnen sich die größten Einschnitte ab?
Christoph Freitag: Drastische Einschnitte verzeichnet die Branche bei Süßkirschen, Himbeeren, schwarzen Johannisbeeren und Zwetschgen in Europa und bei Ananas aus Thailand. Ursache ist stets fehlender Regen.
Die Ernte von Einlegegurken in Bio-Qualität wird dieses Jahr um die Hälfte niedriger liegen als erwartet. Die Erträge liegen nur bei 25 t/ha. Durch die Trockenheit im August war eine zweite Pflanzung beziehungsweise Aussaat nicht möglich.
Bei Kartoffeln zeigen sich Qualitätsmängel durch Hohlherzigkeit und Wachstumsrisse.
BVE: Für welche ist das Wetter dieses Jahr günstig?
Christoph Freitag: Günstig war das Wetter im Obstsektor nur für Stachelbeeren in Polen. Bei Gemüse und den wichtigsten Kartoffelsorten wird insgesamt eine durchschnittliche Ernte erwartet, in einzelnen Anbaugebieten liegen die Erntemengen witterungsbedingt höher (Rheinland) oder niedriger (Spreewald) als in normalen Jahren.
BVE: Welche Konsequenzen haben die Unternehmen aus den Dürrejahren gezogen? Inwieweit sind sie auf weitere Wetterextreme vorbereitet?
Christoph Freitag: Durch die Wetterextreme verspäten oder verkürzen sich zum Teil die Ernten; die Erntezeiten in den verschiedenen Regionen gleichen sich immer mehr an. Somit muss die Planung in der Landwirtschaft und in den verarbeitenden Betrieben besser darauf eingestellt sein. Eine Möglichkeit ist es, konsequenter auf gute Fruchtfolgen und Anbaudiversifizierung zu achten. Die Unternehmen sind daher vor Ort bei den Lieferanten in den Anbauregionen, um die Situation zu beobachten und auf mögliche qualitative Probleme schneller regieren zu können.
Die meisten Landwirte investieren in Beregnung. Frischfruchtlieferanten haben als Maßnahmen zum Beispiel Bewässerungs- oder Berieselungsanlagen errichtet. Da der Grundwasserspiegel aber in vielen Regionen sinkt, ist mittelfristig die Etablierung von wasserschonenden Anbauverfahren sinnvoller. Im Gemüse- und Kartoffelbau lässt sich dies unter anderem durch weniger Bodenbearbeitung oder Querdamm-Häufler realisieren.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Missernte werden im Bio-Bereich von der Landwirtschaft bis zum Kunden spürbar sein. Im Gurkenanbau fehlen nach Einschätzung des BOGK ein Drittel der erwarteten Einnahmen. Die ersten Bauern, die die Industrie im Rahmen von festen Lieferverträgen beliefern, haben bereits ihren Rückzug aus dem Bio-Anbau angekündigt. Auch für die Industrie sind die geringeren Mengen ein Problem, denn sie wirken sich auf die Kalkulation aus. Lebensmitteleinzelhandel und Verbraucher werden sich auf ein schmaleres Angebot zu höheren Preisen einstellen müssen.
BVE: Wo bedarf es noch weiterer Unterstützung/Welche Potenziale werden noch nicht vollkommen ausgeschöpft, um auf zunehmende Wetterextreme reagieren zu können?
Christoph Freitag: Die größere Abhängigkeit vom Wetter ist ein generelles Problem. Sie führt zu verhältnismäßig größeren Schwankungen der Erntemengen von Jahr zu Jahr. Im Gemüse- und Kartoffelbau müssen die geplanten Kontraktmengen pro Hektar besser den Boden-/Wassergegebenheiten angepasst werden.
Der verstärkte Abschluss von Anbauverträgen könnte die Möglichkeit einer Kostenbeteiligung des Abnehmers an den entsprechenden Maßnahmen des Lieferanten (zum Beispiel Bewässerungsanlagen) bieten und somit für beide Parteien (Agrarbetrieb und Verarbeitungsbetrieb) letztlich auch zur Qualitätssicherung vorteilhaft sein.
Auch der Handel muss sich auf schwankende Erntemengen einstellen. Der BOGK hat daher vorgeschlagen, neue Vereinbarungen zwischen Industrie und Handel zu treffen, die das Risiko von Miss- und Minderernten auf Verarbeiter und Handel fair aufteilen.
Von der Politik fordert der BOGK Unterstützung bei der Errichtung intelligenter Wassermanagementsysteme durch die Wasserverbände, um Wasser bei Niederschlägen in der Region zu halten und nicht möglichst schnell den Vorflutern zuzuführen.