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Sorgfaltspflicht für Menschenrechte ist eine europäische Aufgabe
25.08.2020
Die Bundesregierung diskutiert aktuell Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz, um die Menschenrechte in den Lieferketten zu stärken. Doch aus der Wirtschaft kommt Kritik. Erfahren Sie hier im Interview mit der BVE-Geschäftsführerin Stefanie Sabet warum.
Das nationale Lieferkettengesetz will Menschenrechte stärken, warum kritisieren die Unternehmen der deutschen Ernährungsindustrie diesen Vorstoß?
Stefanie Sabet: Wir unterstützen das Ziel jedoch nicht die vorgeschlagenen Maßnahmen dieses Vorstoßes. Die Unternehmen der Ernährungsindustrie verurteilen jegliche Art der Menschenrechtsverletzungen. Von ihren unmittelbaren Lieferanten verlangen die Unternehmen explizit die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten. Darüber hinaus engagie-ren sich Viele seit Jahren in Multi-Stakeholder-Plattformen wie z.B. dem Forum Nachhaltiger Kakao und im Vertragsanbau für nachhaltige Standards in Lieferketten. Trotzdem sehen auch wir weiteren Handlungsbedarf etwa in der Zusammenarbeit von staatlichen Stellen und Unternehmen bei der Risikoanalyse, um die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte endlich durchzusetzen. Aber ein nationales Lieferkettengesetz ist der falsche Weg.
Die Bundesminister Müller und Heil haben große Erwartungen an ein deutsches Lieferkettengesetz. Warum teilen Sie diese Einschätzung nicht?
Stefanie Sabet: Wir halten das Vorgehen und die angedachten Maßnahmen für falsch. Ein deutsches Lieferkettengesetz zum jetzigen Zeitpunkt greift der für 2021 geplanten europäischen Gesetzgebung unnötig vor und fragmentiert den Binnenmarkt immer weiter. Nationale Gesetzgebungen in Frankreich und den Niederlanden haben bereits bewiesen, dass wir nur auf europäischer Ebene sinnvolle Fortschritte für eine bessere Durchsetzung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht für Menschenrechte erreichen können. Nur mit einer EU-weiten Harmonisierung gelten für alle Unternehmen im Binnenmarkt die gleichen Regeln und die bloße Verlagerung der Lieferkette zur Umgehung der Sorgfaltspflicht wird erschwert. Dass Deutschland besseren Wissens den Weg eines nationalen Alleingangs einschlagen will, ist für uns nur schwer nachvollziehbar. Sorgen machen uns aber vor allem die angedachten Maßnahmen des nationalen Lieferkettengesetzes. Wir befürchten eine zunehmende Rechtsunsicherheit für Unternehmen aber auch Verzerrungen in den Lieferketten, die unseren entwicklungspolitischen Erfolgen zuwiderlaufen.
Das müssen Sie erklären. Wie begründen sich Ihre Kritik und Sorgen?
Stefanie Sabet: Die bisher diskutierten Vorschläge bleiben unkonkret und auslegungsbedürftig, wenn es um den Anwendungsbereich oder auch um unternehmerische Verhaltensmaßstäbe geht. Das schafft Rechtsunsicherheit für Unternehmen und kann im schlimmsten Fall auf eine Vielzahl unterschiedlicher juristischer Einzelfallentscheidungen hinauslaufen. Das kann nicht gewollt sein. Kritisch sehen wir auch die Pläne zur Einführung einer Haftungspflicht. Die direkte oder indirekte Einführung einer zivilrechtlichen Lieferkettenhaftung würde im klaren Widerspruch zu den VN-Leitprinzipien stehen, die eine Risikoverlagerung auf Unternehmen ausschließen. Es darf keine Verlagerung von Staatsverantwortung auf Unternehmen geben. Ein Beispiel: Wenn die nationale Ge-setzgebung in dem Land, in dem ein Rohstoff angebaut, Gewerkschaften verbieten, können Unternehmen die Missstände nicht beheben. Das ist die Aufgabe der internationalen Diplomatie. Last but not least sehen wir auch negative entwicklungspolitische Auswirkungen, insbesondere, wenn sich Lieferketten verlagern oder sich Unternehmen aus Staaten mit herausfordernder Menschenrechtslage zurückziehen. Auch Kleinbauern wären von den Auswirkungen der Haftungspflicht betroffen. Sie können die hohen Auflagen und bürokratischen Pflichten nicht bedienen und geraten ins Hintertreffen.
Was sind Ihre Forderungen für einen gesetzlichen Rahmen?
Stefanie Sabet: Ein europäischer gesetzlicher Rahmen bleibt unser Ziel. Dieser sollte eine Bemühungs- und keine Erfolgspflicht für Unternehmen beinhalten. Es sollten verbindliche Standards für erwartete Verhaltensweisen und Verfahren gesetzt, aber keine Vorgaben zu von den Unternehmen sicherzustellenden Ergebnissen gemacht werden. Konkrete und klare Vorgaben, wann und womit Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen, sind unumgänglich. Und schließlich muss auch der Anwendungsbereich klar geregelt werden. Weiter muss auf bestehenden, anerkannten Standards zur Unternehmensberichterstattung, aber auch Beschwerdemechanismen und Zertifizierungen aufgebaut bzw. diese weiterentwickelt werden. Es darf keine doppelten Berichtspflichten geben. Auch ist es wichtig, in Übereinstimmung mit den VN Leitprinzipien, dass Unternehmen im Rahmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht dem Wesentlichkeitsprinzip folgen können und ihr Handeln entsprechend dem möglichen Einfluss bzw. der möglichen Wirkung priorisieren können. So sollte eine Priorisierung auf wesentliche Lieferketten möglich sein.
Sie haben eingangs erwähnt, dass Sie weiteren Handlungsbedarf sehen. Können Sie das noch einmal konkretisieren?
Stefanie Sabet: Wir haben schon sehr früh im Umsetzungsprozess des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte auf Punkte hingewiesen, wo wir die Unterstützung der Bundesregierung dringend brauchen. Insbesondere – das zeigen auch die Ergebnisse des NAP-Monitorings – bei der Risikoerkennung in den Lieferländern vor Ort dürfen Unternehmen nicht von der deutschen und europäischen Politik allein gelassen werden. Wir brauchen wirksame Kooperationen politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Akteure (bspw. NGOs) bei der Risikoanalyse und Identifikation möglicher Abhilfemaßnahmen. Besonders bei der Abhilfe von Missständen müssen Staaten aktiv werden, Unternehmen können diese Schutzpflicht für Menschenrechte nicht ersetzen. Dieser Eindruck darf nicht entstehen. Wenn wir hier eine bessere Kooperation erreichen könnten, wären wir einen riesen Schritt weiter.
Als Download:
Position der Ernährungsindustrie zu den Eckpunkten des Lieferkettengesetzes