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„Für die Beschäftigten ist es schon sehr bitter, so verunglimpft zu werden“
30.08.2018
Vergiften, tricksen, Komplotte schmieden – alles Aktivitäten, die die Medien gern der Ernährungsindustrie zuschreiben. Wie reagieren die Beschäftigten des viertgrößten Industriezweiges auf solche Äußerungen? Wir haben darüber mit der NGG-Vorsitzenden Michaela Rosenberger gesprochen.
Die
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) blickt auf eine lange Tradition zurück: Sie ist die älteste Gewerkschaft Deutschlands. Ihre Vorläuferorganisation, der Allgemeine Deutsche Cigarrenarbeiter-Verein wurde 1865 in Leipzig gegründet. Neben Tabak vertritt die Gewerkschaft heute u.a. auch die Beschäftigten in den Branchen Backwaren, Fleisch, Getränke, Süßwaren und Zucker sowie den großen Bereich Hotel- und Gaststättengewerbe. Glaubt man aktuellen Medienberichten handelt es sich hier um das „Who is Who des Bösen“.
BVE: In einem Interview der Zeitschrift NEON wurde kürzlich ein Ingenieur, der für einen großen deutschen Waffenhersteller arbeitet, zu seinem Job befragt. In der letzten Frage, wollte das Magazin wissen, ob es eine Branche gebe, für die er aus moralischen Gründen nicht arbeiten würde. Seine Antwort: Die Ernährungsindustrie. Was sagen Sie zu solchen Äußerungen?
Michaela Rosenberger: Diese Antwort macht mich in ihrer Undifferenziertheit und Pauschalität zunächst fassungslos. Interessant wäre es natürlich, wie dieser Ingenieur seine Antwort begründet. Hier lässt sich nur mutmaßen, ob der Umgang mit Tieren gemeint ist, die Arbeitsbedingungen der Werkvertragsbeschäftigten an den Schlachthöfen, die Gesundheitsgefährdung durch Nikotin in Zigaretten oder der vieldiskutierte Konsum von Zucker. Letztendlich wird auch er Lebensmittel und Getränke konsumieren, die industriell hergestellt werden – es sei denn, er hat einen eigenen Brunnen, ernährt sich nur von selbst angebautem Gemüse und streichelt jeden Tag seine Kuh oder seine Hühner. Die Ernährungsindustrie ist sehr innovativ und versorgt tagtäglich Millionen Menschen zuverlässig mit hochwertigen und sicheren Lebensmitteln. Und ich finde es fatal, dass eine ganze Industrie seit einiger Zeit fast schon im Sinne einer „Ersatz-Religion“ oder weil es Mainstream ist, an den Pranger gestellt wird.
BVE: Vergiften, tricksen, Komplotte schmieden – alles Aktivitäten, die die Medien gern der Ernährungsindustrie zuschreiben. Wie reagieren die Beschäftigten des viertgrößten Industriezweiges auf solche Äußerungen?
Michaela Rosenberger: „Die Medien“ ist mir auch zu pauschal. Auffällig ist allerdings, dass einige Magazine gerne Einschätzungen von selbst ernannten Verbraucherschützern oder Ergebnisse von Studien, deren Repräsentativität selten hinterfragt wird, aufgreifen, weil es ins Bild der „bösen“ Industrie passt. In der mittelständisch geprägten Ernährungsindustrie stehen die Beschäftigten hinter ihren Unternehmen, arbeiten unter oft schwierigen Bedingungen wie Hitze, Nässe oder Kälte, aber vor allem sind sie stolz auf ihre Produkte, oft ja Marken-Produkte. Und sie sind selbst Konsumentinnen und Konsumenten, die wissen, mit welch hohen Standards, beispielsweise bei der Hygiene, produziert wird und wie streng die Qualitätskontrollen sind. Jeder, der schon einmal in einer Molkerei, bei einem Großbäcker oder einer Brauerei hinter die Kulissen sehen konnte, weiß, dass diese Vorwürfe haltlos sind. Deshalb ist es für die Beschäftigten schon sehr bitter, so verunglimpft oder sogar als „Krankmacher“ bezeichnet zu werden.
BVE: Was wünschen Sie sich für Ihre Mitglieder in Bezug auf die öffentliche Darstellung der Ernährungsindustrie in den Medien?
Michaela Rosenberger: Weniger Hysterie und mehr Sachkenntnis. Allerdings erwarte ich auch von der Industrie, dass sie die Produktionsbedingungen transparenter darstellt und den Verbrauchern nicht vorgaukelt, dass die Schokolade mit der Hand gerührt wird.