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„Verantwortungsvolle und nachhaltige Gestaltung von Liefer- und Wertschöpfungsketten“
10.11.2020
Obwohl Kakao nicht in Deutschland angebaut werden kann, kommen die Verbraucher hierzulande in den Genuss von Schokolade. Immer wieder werden die Anbaubedingen und die Lebensgrundlage afrikanischer Kleinbauern diskutiert. Wie sehen die Lieferketten für diesen Rohstoff aus und welchen Einfluss haben deutsche Unternehmen auf die Akteure? Wie werden die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten sichergestellt? Und braucht es ein Lieferkettengesetz? Im Interview erklärt Aldo Cristiano, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI), wie komplex die Lieferketten sind und wie die Industrie eine verantwortungsvolle und nachhaltige Gestaltung von Liefer- und Wertschöpfungsketten sicherstellt.
BVE: Lieferketten sind häufig komplex. Wie sehen die Lieferketten für Kakao aus?
Aldo Cristiano: Auch die Lieferketten im Kakao sind sehr komplex. Kakao wird fast ausschließlich von Kleinbauern angebaut. Hauptanbauländer sind die Côte d’Ivoire, die Elfenbeinküste und Ghana. In Westafrika sind pro Familie meist acht Köpfe oder mehr zu ernähren. Der Kakao geht häufig an lokale Zwischenhändler, von diesen an regionale Händler und dann erst an die Exporteure. Diese liefern den Kakao per Schiff nach Europa. Dann werden die Bohnen vermahlen, bevor die Kakao- und Schokoladenmassen zu Schokolade weiterverarbeitet werden. Sieben bis acht Stationen vom Bauern bis zur Schokoladentafel sind der Regelfall. Eine Verkürzung der Lieferkette ist möglich, wenn die Bauern sich in Kooperativen organisieren und unmittelbar an die Exporteure liefern.
BVE: Wieviel Kontrolle und Einfluss seitens deutscher Unternehmen auf die einzelnen Akteure der Kakaolieferketten sind möglich? Was können diese Unternehmen leisten?
Aldo Cristiano: Für die Süßwarenhersteller sind die verantwortungsvolle und nachhaltige Gestaltung von Liefer- und Wertschöpfungsketten wichtig. Die „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte: Umsetzung des Rahmens der Vereinten Nationen, Schutz, Achtung, Abhilfe‘“ der Vereinten Nationen sind dabei eine wichtige Richtschur. Die UN-Leitprinzipien gehen von einer geteilten Verantwortung der Staaten und der Wirtschaft aus. Die Unternehmen haben den größten Hebel durch den Bezug von zertifiziertem Kakao, wie zum Beispiel von Rainforest Alliance oder Fairtrade oder im Rahmen von Unternehmensprogrammen, die von unabhängigen Dritten geprüft werden. Das stellt sicher, dass der Kakao nach den Bestimmungen dieser Standards produziert ist - und das schließt die Einhaltung von Menschenrechten ein. Die definierten Standards werden im Übrigen immer von Schulungen und Programmen begleitet, so dass es sich bei der Zertifizierung nicht um ein „Abhaken von Anforderungen“ handelt.
BVE: Welche Maßnahmen ergreift die Süßwarenindustrie, um ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachzukommen?
Aldo Cristiano: Die deutschen Süßwarenhersteller haben bereits 72 Prozent des Kakaos der in Deutschland verkauften Süßwaren zertifiziert. Bei einem anderen Rohstoff, dem Palmöl sind sogar schon rund 90 Prozent zertifiziert. Zusätzlich fördern zahlreiche Programme und die beiden Multiakteurspartnerschaften Forum Nachhaltiger Kakao und Forum Nachhaltiges Palmöl die Aktivitäten rund um Nachhaltigkeit und damit auch indirekt die Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in diesen Lieferketten.
BVE: Was würde passieren, wenn sich die Unternehmen aufgrund von Rechtsunsicherheiten und Sorge vor einer zivilrechtlichen Haftung aus manchen Ländern, in denen von der Politik Menschenrechte missachtet werden, zurückziehen?
Aldo Cristiano: Keinem wäre damit geholfen. Die Bauern in Westafrika würden wichtige Märkte verlieren und damit auch ihr Einkommen. Eine Verbesserung der menschenrechtlichen Situation wäre in weiter Ferne. Und für die Unternehmen würden natürlich wichtige Rohstofflieferanten wegfallen.
BVE: Was hätte das auch für die Entwicklungsländer an Konsequenzen?
Aldo Cristiano: Ihnen würden erhebliche Einnahmen wegfallen. So werden in der Côte d’Ivoire, der Elfenbeinküste, dem Hauptanbauland allein von 20-25 Prozent des Wertes des exportierten Kakaos an Steuern abgeführt. Und die menschenrechtliche Situation würde sich verschlechtern, denn auch erfolgreiche Programme wie etwaPRO-PLANTEURS vom Forum Nachhaltiger Kakao würden nicht weitergeführt.
BVE: Welche Maßnahmen – politisch, unternehmerisch, gesellschaftlich – müssten getroffen werden, um die menschenrechtliche Situation vor Ort weiter zu verbessern?
Aldo Cristiano: Die Umsetzung der UN-Leitprinzipien müsste europaweit einheitlich geregelt werden. Dies muss mit Abkommen mit den Produzentenländern, den Voluntary Partnership Agreements, ergänzt werden. Zertifizierung, Programme und Multiakteurspartnerschaften sind aus unserer Sicht ein „smart mix“ für die Unternehmen, um ihrer menschenrechtlichen Sorgfalt auch in diesen Ländern noch besser nachzukommen. Nicht nur das Forum Nachhaltiger Kakao, sondern auch die kürzlich von der Europäischen Kommission ins Leben gerufene Nachhaltigkeitsinitiative im Kakaosektor können hier unterstützen. Vor allem müssen aber vor allem die Regierungen in den Anbauländern die Menschenrechte schützen. Es reicht nicht aus, Sorgfaltspflichten für Unternehmen im Gesetz zu verankern, sondern es müssen staatliche Kontrollen vor Ort stattfinden und Verstöße geahndet werden.
BVE: Vielen Dank für das Interview!