Inhalt
"Güter gehören auf die Schiene"
08.02.2022
In der Pandemie konnte die Bahn ihre Stärken zeigen: große Mengen an Gütern schnell bewegen – ohne Stau und mit wenig Personal. Viele Lebensmittelhersteller wissen das zu schätzen. Und auch um die vereinbarten Klimaziele zu erreichen, spielt die Bahn eine wichtige Rolle. Noch mehr Güter auf die Schiene, so lautet die Devise der neuen Bundesregierung. Wie kann das gelingen und welche Vorteile hat die Schienenlogistik? Franziska Klimas, Teamleiterin bei der DB Cargo AG, gibt einen Einblick in Ziele, Chancen und Nachhaltigkeit.
Wie viele Züge bringt die DB Cargo jede Woche auf den Weg?
Franziska Klimas: Als größte Güterbahn Europas fahren wir rund 20.000 Züge pro Woche quer durch Europa. Das Schienennetz ist flächendeckend und der Zugang zum Netz wird im Schwerpunkt durch Gleisanschlüsse, Railports und KV-Terminals ermöglicht. Auf diese Weise ersetzen wir heute schon täglich 90.000 Lkw-Fahrten.
Welche Auswirkungen hatte die Covid-Krise auf den Transport von Lebensmitteln auf der Schiene?
Franziska Klimas: Die Schiene war im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern weniger von der Pandemie betroffen. Wo Lkw im Stau festsaßen, konnte die Deutsche Bahn Güterströme stabil abwickeln und die Versorgungssicherheit unter anderem im Lebensmittelbereich unterstützen. Als die Grenzen europaweit geschlossen wurden, konnten Züge weiterhin fahren. Ein weiterer Vorteil ist der kontaktlose Transport großer Mengen – auch über weite Strecken bei einem wesentlich geringeren Personaleinsatz. 60 Prozent aller Güterzüge von DB Cargo überschreiten mindestens eine Grenze – komplett ohne Staus aufgrund von Einreiseformalitäten und Corona-Tests. Ein Güterzug kann bis zu 52 Lkw ersetzen. Das heißt: ein Corona-Test und nicht 52. Da zeigt sich der Systemvorteil. Außerdem kann DB Cargo auch schnell Lokführerwechsel an den Grenzen organisieren. Deshalb waren und sind die Lieferketten auf der Schiene stabil. Mehr als 3.000 Partner konnten sich auch während der Lockdowns auf das flächendeckende Angebot von DB Cargo verlassen. So wurde auch in der Krise die Grundversorgung sichergestellt – beispielsweise mit Pasta direkt aus Italien.
Haben einige Lebensmittelproduzenten in der Krise die Schiene als Transportmittel neu für sich entdeckt?
Franziska Klimas: In der Pandemie hat sich gezeigt, wie fragil Transportketten sind und dass eine funktionierende Logistik keine Selbstverständlichkeit, sondern systemrelevant ist. Ergänzend steigt das Bewusstsein für Nachhaltigkeit, was sich auch in der Wahl der Transportmittel niederschlägt. Wir freuen uns, dass wir immer mehr Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie von der Nachhaltigkeit und Leistungsfähigkeit der Schiene überzeugen können. Um von den Vorteilen zu profitieren, benötigen Kunden zudem keine eigene Gleisinfrastruktur.
Ist es für ein mittelständisches Unternehmen genauso einfach und wirtschaftlich, Güter mit einem Zug durch Europa zu transportieren, wie mit einem Lkw?
Franziska Klimas: Ja, der Transport kann ähnlich einfach umgesetzt werden, da weder eigenes Equipment noch eigene Infrastruktur erforderlich ist und wir auch in Bezug auf die Laufzeit zahlreiche attraktive Verbindungen im Netzwerk anbieten. Mit dem größten europäischen Schienennetzwerk bieten wir flächendeckend Zugang zur Schiene. Für Kunden, die keinen eigenen Gleisanschluss haben, bietet DB Cargo in ganz Europa den Zugang zur Schiene über verkehrsgünstig gelegene Railports oder KV-Terminals an. Bereits ab einem Wagen können Unternehmen flexible Mengen und Relationen beauftragen. Die Schiene zeigt ihre Kostenvorteile insbesondere auf der Langstrecke. Im Mittel ist eine Logistiklösung auf der Schiene ab circa 300 Kilometern preislich vergleichbar zum Lkw. Wir bieten direkte Expressverbindungen zwischen den europäischen Wirtschaftszentren bis zu fünf Mal pro Tag an - mit Abfahrten auch nachts und an Sonn- und Feiertagen. Als schnelle und nachhaltige Alternative zum Lkw bieten wir Kunden aller Branchen komplette Tür-zu-Tür-Services auch für einzelne Sendungen an. Dabei übernehmen wir die komplette Organisation der Leistung inklusive Vor- und Nachlauf per Lkw und stellen das Equipment zur Verfügung.
© Deutsche Bahn AG - Jochen Schmidt
Können Sie eine komplette End-to-End Logistik am Beispiel eines Lebensmittelherstellers verdeutlichen?
Franziska Klimas: Für unseren Kunden Coca-Cola transportieren wir Waren im Nachtsprung auf verschiedenen Relationen in ganz Deutschland. Immer kombiniert: im Nahbereich mit dem Lkw, auf der Ferndistanz auf der Schiene, direkt bis zum Lager. Der Kunde muss sich um nichts kümmern: DB Cargo stellt sowohl das Equipment mit XL-zertifizierten Wechselbrücken und organisiert auch den Transport auf Schiene und Straße. Der Kunde hat mit DB Cargo also einen Ansprechpartner - und wir kümmern uns um die gesamte Logistikkette. Auf diese Weise rücken wir näher an den Kunden und können besser auf dessen Bedürfnisse eingehen.
Klimaschutz ist für die Ernährungsindustrie ein wichtiger Faktor. Mit Eco Solutions bieten Sie den Kunden die Möglichkeit klimaneutraler Logistikketten. Wie funktioniert das?
Franziska Klimas: Im Vergleich zum Lkw verbraucht ein Güterzug bis zu zwei Drittel weniger Energie und spart über 80 Prozent der Kohlendioxidemissionen. Unsere Eco Solutions ermöglichen es, Güter noch umweltfreundlicher zu transportieren. Sie haben dabei die Wahl zwischen CO₂-freien und CO₂-neutralen Transporten. CO₂-emissionsfreie Transporte mit DBeco plus bieten wir in Deutschland und Österreich ein. Hierbei setzen wir 100 Prozent Ökostrom aus erneuerbaren Energiequellen ein. Zehn Prozent der Erlöse fließen zudem in die Förderung von Anlagen, die regenerativen Strom erzeugen oder speichern. Im Gegensatz dazu kompensiert DBeco neutral nicht vermeidbare CO₂-Emissionen wie z.B. Vor- und Nachlauf per Lkw durch Klimazertifikate. Gemäß Kompensationsbedarf investieren wir in ausgewählte nachhaltige Projekte in aller Welt nach CDM Gold Standard.
Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass der Transport über die Schiene ausgebaut werden soll. Was bedeutet das für die DB Cargo?
Franziska Klimas: Der Koalitionsvertrag bietet viele Chancen für den Eisenbahnsektor. Erstmals soll mehr in die Schiene als in die Straße investiert werden. Zur Förderung des klimafreundlichen Schienengüterverkehrs soll unter anderem die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung als zentrale Innovation beschleunigt und der Einzelwagenverkehr gestärkt werden. An der Entwicklung und Erprobung der Digitalen Automatischen Kupplung ist DB Cargo seit Jahren beteiligt. Jüngst startete ein mit der Digitalen Automatischen Kupplung ausgestatteter Zug zu Testfahrten quer durch Europa. Der Einzelwagenverkehr ist die grüne Alternative zum Lkw, da einzelne Wagen oder Wagengruppen versendet werden können. Klimaschutz in Deutschland und Europa funktioniert nur mit einem starken Einzelwagennetzwerk. DB Cargo ist das einzige Unternehmen in Deutschland, das flächendeckend Einzelwagenverkehr anbietet und damit im ganzen Land auch für Unternehmen mit geringem Transportvolumen die Vorteile der Schiene in Deutschland und Europa erschließt.
Auf der anderen Seite ist das Nachhaltigkeitsbewusstsein von Unternehmen stark gestiegen…
Franziska Klimas: Und das macht natürlich auch vor den Logistikprozessen keinen Halt. Insbesondere mit dem erklärten Ziel im Koalitionsvertrag, die Klimaschutzziele von Paris erreichen zu wollen, gehen wir davon aus, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Logistiklösungen wie dem Schienengüterverkehr weiter steigen wird. Daher begrüßen wir den neuen Koalitionsvertrag, der das umweltfreundlichste Verkehrsmittel stärken und voranbringen will. Denn Güter gehören auf die Schiene und nur mit einer starken Schiene kann es die Klimawende geben.
Wie kann man aus Ihrer Sicht Schiene und Straße sinnvoll kombinieren?
Franziska Klimas: In der Kombination von Schiene und Straße können die jeweiligen Stärken der verschiedenen Verkehrsträger genutzt werden – beispielsweise die Sicherheit und Klimafreundlichkeit der Schiene und die größere Flexibilität der Straße. Das spiegelt sich auch in der Strategie von DB Cargo wider, nämlich Europas führender Bahnlogistiker zu werden. Auf der Langstrecke wird die umweltfreundliche Schiene genutzt und für den Vor- und Nachlauf im Nahbereich vom Terminal bis zur Laderampe wird auf den Lkw zurückgegriffen. Dadurch können Straßen entlastet und Staus und reduziert werden. Die Unternehmen benötigen keine eigene Infrastruktur, um den Verkehrsträger Schiene nutzen zu können. So vereinfachen wir für Kunden den Zugang zum System Schiene. Wir machen den Schienentransport so einfach wie Online-Shopping – mit nur einen Klick können Kunden zum Beispiel auf unserer Online-Plattform link2rail Güterwagen bestellen oder das Ankunftsdatum der Ware verfolgen. Bei weiteren Entfernungen erreichen Züge oft schneller als Lkws ihre Ziele. Im Vor- und Nachlauf des kombinierten Verkehrs sind zudem 44 Tonnen Gesamtgewicht möglich. Dadurch kann eine größere Gütermenge mit nur einer Ladung transportiert werden.
Was steckt hinter Ihrem Projekt „Rückkehr in die Agrarbranche“?
Franziska Klimas: Mit nachhaltigen Verkehrskonzepten und modernen, großvolumigen Wagen möchten wir die individuellen Anforderungen in umweltfreundlichen und wirtschaftlich attraktiven Transportlösungen für Agrargüter jeder Art umsetzen. Ob Getreide oder Kartoffelstärke, wir bringen alles sicher und schnell ans Ziel – egal, ob in Wagengruppen oder in ganzen Zügen. DB Cargo hat in den vergangenen Jahren Produktionsprozesse optimiert, ein breites Partnermanagement aufgebaut, die Preisbildung gestrafft und beschleunigt sowie zuletzt auch in marktgerechte Waggons investiert (Anmietung von mehreren Garnituren von 101-m³-Waggons). Mit den veränderten Rahmenbedingungen wollen wir auch Kunden im Agrarbereich von unserer Leistungsfähigkeit überzeugen.
Auf welche Neuerungen können sich die Kunden in den kommenden Jahren einstellen?
Franziska Klimas: Wir wollen in den nächsten Jahren weiterwachsen, denn Güter gehören auf die Schiene. Bis 2030 sollen 50 Millionen Lkw-Fahrten auf die Schiene verlagert werden. Etwa die Hälfte davon will DB Cargo übernehmen. Wir investieren weiterhin in Kapazität und Qualität, indem wir in neues Equipment investieren, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen und weiter an der Verbesserung unserer Produktionsqualität arbeiten. Zudem werden die Themen Innovation und Digitalisierung weiter vorangetrieben. Ein erster Schritt war das Ausrüsten aller Güterwagen mit GPS und Sensorik. Neben dem Vorantreiben der Digitalen Automatischen Kupplung ist hier noch der modulare und multifunktionale Güterwagen zu nennen. Dahinter steht eine revolutionäre Innovation in Sachen Güterwagenbau und -einsatz. Mit dem neuartigen Konzept trennen wir Transportbehälter und Tragwagen. Damit eröffnen wir neue Möglichkeiten in der Gestaltung von Fahrzeugen: Der neue Tragwagen ist standardisiert und modular. Durch den Einsatz abnehmbarer und austauschbarer Aufbauten wird die Multifunktionalität erreicht. Dieses Güterwagensystem ist europaweit einzigartig zugelassen.
Vielen lieben Dank für das Interview!