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Terminkalender

"2030 sollten wir im Umgang mit Ressourcen nicht mehr über „Entsorgung“ nachdenken."

05.11.2021


Im Interview spricht Gunda Rachut, Vorstand der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister, über Vorreiter-Unternehmen und marketinggetriebene Lösungen, politische Rahmenbedingungen und das Recycling der Zukunft.

Ist Deutschland aus Ihrer Sicht noch Recycling-Vorreiter?

Gunda Rachut: International sind in den letzten Jahrzehnten in vielen Regionen Regelungen auf den Weg gebracht worden, die das Recycling von Verpackungen voranbringen. In Europa gelten einheitliche Recyclingquoten, überall gibt es neue Ideen, wie die Abfallhierarchie umgesetzt werden kann. Wir können mittlerweile von vielen Ländern Initiativen abschauen und das ist gut so. Wir haben bei uns im Beirat beispielsweise Initiativen in Skandinavien zur Qualitätsverbesserung in der Sammlung angeschaut.

Aber auch in Deutschland hat sich viel bewegt. Das Verpackungsgesetz hat deutliche Impulse gesetzt: sehr anspruchsvolle Recyclingquoten, den Mindeststandard zum recyclinggerechten Design, das Verpackungsregister LUCID mit der Transparenz, wer sich produktverantwortlich verhält, um einige wichtige Themen zu nennen. Viele Entwicklungen sind positiv, die Plastikdiskussion hat viel Verpackungsinnovation erzeugt.

Nicht alle Trends sind aus der Sicht des Recyclings positiv. Beschichtungen, Wachse, Coatings in Kombination mit Papierverpackungen erschweren es, die Recyclingquoten zu erreichen. Das Verpackungsgesetz wird in der gerade begonnenen Legislaturperiode evaluiert. Es ist wichtig, dass die Hersteller die Thematik „Design-for-Recycling“ nicht aus den Augen verlieren.

Die Corona-Krise hat sich stark auf die Wirtschaft ausgewirkt. Welche Auswirkungen hatte und hat sie für die inhaltliche Arbeit der ZSVR?

Gunda Rachut: Die Pandemie hat für alle Veränderungen gebracht. Das Verpackungsaufkommen hat sich verschoben. Im Onlinehandel hat es überproportionale Steigerungsraten gegeben. Es gab auch Bereiche, die vom Lockdown sehr negativ betroffen waren. Gastronomiebetrieb konnte beispielsweise nicht wirklich stattfinden und Kühlhäuser standen über Monate leer. Dadurch gab es im Bereich der Großverbraucherverpackungen, die vielleicht besser recycelbar sind, einen starken Rückgang.

Umgekehrt haben wir einen starken Zuwachs bei To-Go-Verpackungen und Haushaltsverpackungen festgestellt. Diese Entwicklungen werden anteilig auch nach der Pandemie noch Bestand haben. Wir sehen mit Sorge die deutlich zunehmenden Verpackungsmengen in den Bereichen Online-Handel und Außer-Haus-Verzehr. Hier werden sicherlich politische Maßnahmen erfolgen, um gegenzusteuern.

Hersteller und Vertreiber von Verpackungen müssen sich seit Januar 2019 bei der ZSVR registrieren und ihre Verpackungsmengen melden. Welche Erfolge konnten Sie seitdem verbuchen?

Gunda Rachut: Die Bilanz nach drei Jahren Gesetz ist sehr positiv. Etwa viermal so viele Unternehmen als 2018 verhalten sich produktverantwortlich. Rund 228.000 Unternehmen sind im Verpackungsregister LUCID registriert. Mehr als 75 Prozent aller Verpackungen finanzieren das System der Verpackungsentsorgung. Das gab es noch nie. Aufgrund der durch die ZSVR veröffentlichten Prüfleitlinien für Vollständigkeitserklärungen und Stoffströme prüfen rund 3.000 bei der ZSVR registrierte Prüfer nach einheitlichen Regeln. Das wird nachgehalten. Die Anzahl der abgegebenen Vollständigkeitserklärungen von Unternehmen, die hohe Verpackungsmengen in Verkehr bringen, ist deutlich gestiegen. Für die letzten drei Jahre wurden mehr als 15.000 Vollständigkeitserklärungen bei der ZSVR hinterlegt. Ohne Vollzug wäre das nicht möglich. Rund 7.500 Ordnungswidrigkeiten hat die ZSVR bislang an die Vollzugsbehörden der Länder übergeben.

Was waren und sind die größten Herausforderungen bezüglich der Novelle des Verpackungsgesetzes?

Gunda Rachut: Bis Juli 2022 muss das Verpackungsregister LUCID erneut umstrukturiert und erweitert werden. Es müssen sich dann die Inverkehrbringer aller Verpackungen registrieren, auch für Mehrwegverpackungen, Transport- und industrielle Verpackungen oder Serviceverpackungen. Elektronische Marktplätze dürfen künftig keine Ware von Herstellern zulassen, die ihre Verpackungen nicht zuvor an einem System beteiligt haben. Für die elektronischen Marktplätze besteht nun ein hoher Handlungsbedarf, welcher von diesen wahrgenommen und bereits umgesetzt wird.

Unser Anspruch ist es, den Registrierungsprozess im Verpackungsregister LUCID trotz Ausweitung nach wie vor sehr einfach zu halten, sodass die Pflichten innerhalb weniger Minuten erfüllt werden können. Begleitend werden wir alle Kommunikationskanäle nutzen, um die neuen Verpflichteten mit allen relevanten Themen vertraut zu machen.

Wie viele Fallberichte haben Sie bisher veröffentlicht und was haben sie bewirkt?

Gunda Rachut: Aktuell haben wir vier Fallberichte veröffentlicht. Damit wollen wir verpflichteten Unternehmen die Umsetzung ihrer ökologischen Produktverantwortung erleichtern und diese unterstützen, mögliche Rechtsverstöße zu vermeiden. Veröffentlichen wir einen Fallbericht neu, nehmen wir sehr schnell ein hohes branchen- und unternehmensbezogenes Interesse wahr. Die betroffenen Wirtschaftskreise überprüfen offenbar ihr Handeln und nehmen auf dieser Basis auch Nachjustierungen vor. Wir erkennen das an Nachfragen und Nachmeldungen. Das Feedback zu den einzelnen Fallberichten aus der Praxis ist positiv.

Neben Transparenz und Kontrollen setzt sich die ZSVR dafür ein, dass sich besser recycelbare Verpackungen etablieren und mehr Rezyklate genutzt werden. Wie zufrieden sind sie mit dem bisher Erreichten?

Gunda Rachut: Es gibt Vorreiter, die ihre Verpackungen konsequent nach der Abfallhierarchie ausgerichtet haben: materialsparende Verpackungslösungen, recyclinggerechtes Design von der Hauptverpackung bis zum Etikettenkleber und anspruchsvoller Rezyklateinsatz.

Doch auch das Gegenteil ist zu beobachten: Marketinggetriebene Verpackungslösungen, die überhaupt nicht oder nur in einem geringen Grad rezyklierbar sind. Beispiele sind lackierte Glasflaschen, vernetzte XPE-Folien auf Pappe, beidseitig mit Folie beschichtete Papierlösungen.

Bei Food-Verpackungen ist nach wie vor nur RPET für den Lebensmitteleinsatz rechtlich zulässig, das ist ein gravierender Nachteil.

Generell sind wir mit dem Erreichten deswegen zufrieden, weil es mittlerweile in allen Bereichen Verpackungen gibt, die hochgradig recyclebar sind und es für das produzierte Regranulat Anwendungen gibt. Das ist ein guter Anfang, niemand kann sich mehr herausreden, dass es keine Lösung gegeben hätte.

Was fordern Sie von Seiten der Politik?

Gunda Rachut: Das Verpackungsgesetz ist in vielen Punkten einer Evaluierung unterworfen. Bei einzelnen Maßnahmen wird also untersucht, ob sie die Wirkung hatten, die der Gesetzgeber erwartet hat. Die Zentrale Stelle Verpackungsregister (ZSVR) wird bei der Evaluierung sicher unterstützen, da wir in vielen Punkten die Daten haben, die die notwendigen Untersuchungen ermöglicht. Die ZSVR schafft die Transparenz, um zukünftige politische Entscheidungen gut zu treffen. Hier würden wir uns freuen, wenn die Politik diese Chance nutzt und auch mit uns über unsere Erfahrungen spricht.

Die ZSVR ist über die Stifter sehr nah am Markt, obwohl sie behördlich agiert. Über die Expertenkreise haben Industrie und Handel sehr viel Wissen eingebracht, um die Lösungen praxisnah und bürokratiearm zu gestalten. Die notwendige Transformation für Ressourcen- und Klimaschutz ist eine gewaltige Anstrengung für die Unternehmen. Wir haben eine große Expertise in der Praxis und in der bürokratiearmen und digitalen Umsetzung von Umweltschutz. Dies bringen wir gerne ein.

Welche Rahmenbedingungen braucht es für die zunehmend eingesetzten Verbunde?

Gunda Rachut: Letztendlich benötigen wir ein wirksames ökonomisches Lenkungsinstrument, welches alle Verpackungen und alle Materialien nach ihrer Recyclingfähigkeit einordnet. Die Internalisierung von Umweltkosten würde hier deutlich helfen. Wenn wenig recyclingfähige Verpackungen deutlich teurer würden, wäre das Problem relativ schnell gelöst.

Sind aus Ihrer Sicht die Verbraucherinnen und Verbraucher ausreichend über die richtige Mülltrennung informiert?

Gunda Rachut: Die Initiative „Mülltrennung-wirkt“ der Systeme hat mittlerweile die Anlaufphase überwunden und konsolidiert sich. Es konnte in der ersten Phase eine gute Zusammenarbeit mit den örtlichen Abfallberatungen aufgebaut werden. Jetzt geht es – zum Teil in Kooperation mit Handel und Industrie – auch mehr in die Fläche. Das ist gut so, denn es muss stetig Information nicht nur zur richtigen Mülltrennung stattfinden, sondern auch dazu, dass die Mülltrennung ein guter Beitrag zum Umweltschutz ist.

Der Beirat der Zentralen Stelle Verpackungsregister (ZSVR) hat zudem ein Qualitätssicherungskonzept entwickelt, wie bei einer Umstellung vom Gelben Sack auf die Gelbe Tonne Fehlentwicklungen vermieden werden können. Dieses Schema wurde erfolgreich in Kommunen angewandt und hat geholfen, die Sammelqualität zu verbessern.

In einer neuen Phase werden nun konkrete Problembereiche in Städten und Kreisen angesprochen. Es gibt Gespräche mit Vermietern von Großwohnanlagen, wie auch in eher anonymen urbanen Wohnsituationen die Mülltrennung gut umgesetzt werden kann. Hier hat die Verpflichtung des Verpackungsgesetzes für die Systeme, die Trenn-Kommunikation voran zu bringen, erhebliche Wirkung gezeigt.

Ein Blick in die Zukunft: Wie sieht für Sie die optimale Verpackungsentsorgung in Deutschland im Jahr 2030 aus?

Gunda Rachut: 2030 sollten wir im Umgang mit Ressourcen, nicht nur bei den Verpackungen, sondern bei allen kurzlebigen Gütern, nicht mehr über „Entsorgung“ nachdenken. Oberstes Gebot einer „Wertstoffhierarchie“ wäre der sparsame Umgang mit allen Ressourcen. Der Ersatz von gekauften Waren durch Dienstleistung sollte in einem ressourcenarmen Land wie Deutschland deutlich nach vorne gebracht sein. Produkte würden nur noch in reparaturfreundlichem, demontagegerechtem und recyclinggerechtem Design auf den Markt gebracht. Der Wert der verarbeiteten Materialien würde über das Recycling erhalten werden und im Wirtschaftskreislauf bleiben. Die großen Unternehmen hätten ein Ressourcen-Managementsystem, in dem sie diese Vorgaben verpflichtend umsetzen. Die Wertschöpfung würde sich vom Ressourcenverbrauch verlagern zur verlängerten Ressourcennutzung.